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Stämme und Familiennamen in den VAE


Angehörige der traditionellen Stämme – aus denen ja auch die Herrscherfamilien der einzelnen Emiraten ihren Ursprung ableiten – bilden zusammen mit Vertretern der traditionellen Kaufmannsfamilien, die von alters her die Herrscherfamilien unterstützt haben, trotz der gewaltigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte immer noch die Top-Eliten in den VAE und den anderen Golfstaaten. Wer beruflich oder geschäftlich in den VAE tätig ist, ist gut beraten, sich zumindest rudimentär mit der „Stammes-und Familiengeschichte“ der VAE vertraut zu machen.

Im diesem Beitrage werden zunächst einige Charakteristika des Stammeswesens in den VAE und den Golfstaaten skizziert und sodann einzelne wichtige Stämme in den VAE dargestellt.

1. „Who is Who“ in den VAE?

Schaut man auf die Namensträger wichtiger Positionen in Regierung und Verwaltung, Behörden Armee, Polizei, Organisationen in den Vereinigten Arabischen Emiraten (im Folgendem: VAE), so stößt man meist immer wieder auf dieselben Familiennamen. Dasselbe gilt für große Unternehmen und Wirtschaftsinstitutionen, sei es im öffentlichen Sektor, sowie in der Privatwirtschaft.

Wahrscheinlich kennt man schon die Namen der jeweils bekanntesten Familie in den einzelnen Emiraten, die sogenanntem „Herrscherfamilien“ (Ruling Families): in Abu Dhabi die Al Nahyian; in Dubai die Al Maktoum; in Sharjah und Ras al Khaimah die Al Qassimi; in Ajman die Al Nuaimi in Umm Al Quwain die Al Mu’allah, oder in Al Fujeirah die Al Sharqi.

In der verfassungsmäßigen und staatlichen Hierarchie findet man diese Namen in den obersten Positionen, also Staatspräsident (nach der Verfassung immer ein Al Nahyian), oder Premierminister- (immer ein Al Maktoum), oder im Federal Council, dem höchsten föderalen Organ, dem alle Herrscher aus den einzelnen Emiraten angehören. Dies gilt auch für die wichtigsten Ministerien wie Verteidigung, Inneres, andere Leitungspositionen in Obersten Behörden oder Organisationen, auf der föderalen Ebene, wie auch der Ebene des einzelnen Emirates, wo Vertreter der jeweiligen Herrscherfamilie die Schlüsselpositionen besetzen.

Doch schon im Kabinett und erst recht auf der Ebene von Spitzen-und Leitungspositionen und dann durchgängig in den Organigrammen von staatlichen oder wirtschaftlichen Organisationen, Institutionen oder Unternehmen stößt man auch auf andere Namen und zwar überwiegend immer wieder auf dieselben wie Al Suwaidi, Al Qubaisy, Al Meheiry, Al Dhaheri, Al Rumaithi, Al Ameri, Al Hamili , Al Kaabi, Al Merri, Al Shamsi, Al Mansuri, Al Oteibah etc.

Den wenigsten Nichteinheimischen wird bewusst sein, dass diese Namen eigentlich Ableitungen von Stämmen oder Stammes-Clans sind - konkret deren Singularform – und zwar von Stämmen oder Untergliederungen von Stämmen, die schon seit langem und weit vor der Zeit der Staatsgründung der VAE als Beduinen umherzogen oder in Oasen im Landesinneren sowie an der Küste siedelten. So ist der “Familienname“ Al Suwaidi, die Singularform von Al Sudan, Al Qubaisi die Singularform von Al Qubaisat, Al Muheiri die Singularform von Al Muhair, Al Mansuri die Singularform des Stammes der Al Manasir usw.

Neben diesen Stammesnamen begegnet man – sehr verdichtet etwa in Dubai, aber auch in anderen Emiraten - auch immer wieder Namen wie Al Ghurair, Al Gurg, Al Naboodah, Al Serkarl, Al Faheem, Al Habtoor etc. und zwar sowohl in leitenden Positionen des öffentlichen Bereichs, als auch ganz besonders im obersten Management staatlicher Unternehmen und Eigentümer in den Boards of Directors großer privater Unternehmen. Auch hier wird dem Laien nicht ohne Weiteres bewusst sein, dass es sich dabei um Namen traditioneller Kaufmannsfamilien handelt, von denen die meisten vor ein- oder zweihundert Jahren von der persischen Küste eingewandert sind (sog. Ajam) – bzw. manche von ihnen, die vor langer Zeit sogar aus der arabischen Halbinsel nach Persien gezogen waren, wieder zurückgewandert (sog. „Huwala“) - sind und wo teilweise noch die Großelterngeneration zuhause untereinander das persische Farsi spricht.

Schaut man über die Grenzen der VAE auf die anderen Länder der Arabischen Halbinsel und sogar einige der an die Golfstaaten angrenzenden Länder wie etwa Irak, Syrien oder Jordanien, so findet man viele dieser Namen auch dort, zusätzlich zu anderen Namen, die ebenfalls eine stammesmäßige Ableitung haben, oder die zu den seit langem vor allem an den Küstensiedlungen und Städten des Persischen Golfes niedergelassenen alten Kaufmannsfamilien gehören, wie etwa die berühmte, in der ganzen Golfregion verbreitete, Al Kanoo Familie. So erschließt sich allmählich, dass diese „Familiennamen“, zumindest die „Stammes“-Familiennamen“ nur schwerlich mit dem Familienbegriff westlicher Staaten vergleichbar sind. Diese „Stammes-Familien“ – aus denen sich ja auch in den VAE und den meisten anderen Golfstaaten auch die „Herrscherfamilien“ ableiten – halten, in Symbiose mit den traditionellen „Kaufmannsfamilien“, trotz der enormen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte, immer noch die Vorherrschaft an Autorität, Macht und Wohlstand im Lande.

2. Stammesmerkmale

2.1Definition

Was charakterisiert nun also einen „Stamm“ in den VAE?. Was bedeutet es, wenn man sagt, die Bevölkerung sei von ihrem Ursprung her stammesmäßig (tribal) organisiert?

Versucht man diese Frage zu beantworten, so muss man den Blick über das Gebiet der aktuellen Staatsgrenzen der VAE hinaus auf die Arabische Halbinsel als Ganzes richten. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Begriff der „territorialen Grenzen“ zumindest in einem Großteil der arabischen Welt – und ganz sicher der Arabischen Halbinsel, wo die meisten dortigen Nationalstaaten noch nicht einmal fünfzig Jahre alt sind - ein mehr oder weniger von außen, insbesondere von den Kolonialmächten importierter Begriff ist, während die weitgehend nomadische Bevölkerung der Region Geographie eher durch die Linse sich immer wieder ändernder Stammesinteressen, als durch fixe Grenzen betrachtete. Dies kann man am Beispiel des Verhältnisses zwischen Oman und den VAE beleuchten. Noch vor wenigen Dekaden wurde das Territorium der heutigen VAE noch als „Küste von Oman“ oder, besonders im Kontext der Rolle der Kolonialmacht Großbritannien in der Region, als „Trucial Oman“ bezeichnet. Auch heute noch vertritt ein Teil der omanischen Eliten die Auffassung, dass die VAE in ihrer Essenz eigentlich omanisch sind, zumindest in dem Sinne, dass die in den VAE dominante Stammeskonföderation, die Bani Yas sehr stark mit dem führenden Stamm der Al Bu Said, der die heutige Herrscherfamilie in Oman stellt, verbunden ist. Dies wird nicht unbedingt im Sinne von politischen Ansprüchen des Oman auf die VAE zu werten sein, sondern eher als Ausdruck eines gemeinsamen Geschichtsbewusstseins. Zeitgenössische „politische Grenzen“ auf der Arabischen Halbinsel müssen daher nicht unbedingt den „Identitätsgrenzen“ entsprechen.

Was ist also ein Stamm am Persischen Golf?

In einem allgemeinen Sinne wird ein Stamm definiert als ein organisierter Verband von Menschen mit einer wenig komplexen gesellschaftlichen Organisationsform, deren Mitglieder durch das Verständnis von einer gemeinsamen Abstammung und durch gegenseitige Verwandtschaftsbeziehungen zusammengehalten werden. Einer solchen Definition wird oft zusätzlich die als höherwertig dargestellte wesentlich komplexere Ordnungsstruktur des Staates gegenübergestellt.

Ein solchermaßen weit gefasster Stammesbegriff umfasst durchaus auch die Kernelemente der arabischen Stämme, muss aber noch konkreter spezifiziert werden.

Der Stamm ist die größte traditionelle Institution in den Gesellschaften des arabischen Golfs. Er ist auch die älteste überlebende soziale Struktur auf der arabischen Halbinsel und bestand schon vor dem Islam. Die Zugehörigkeit zu den ungeschriebenen stammesmäßigen Regeln und Gebräuchen (gewöhnlich als `urf bezeichnet) dominierte seit undenklichen Zeiten die Gesellschaften am Golf. In ländlichen Gegenden stand der Stamm im Zentrum der Existenz eines Individuums, in vielerlei Hinsicht war er so etwas wie ein sich selbst genügendes, auf sich allein gestelltes Gebilde, sowohl politisch, wie auch wirtschaftlich und auf jeden Fall gesellschaftlich.

Die Vorfahren der Stammesbevölkerung in dem heutigen Gebiet der VAE haben allerdings nicht immer innerhalb der Region gelebt. Wellen von Völkerwanderungen brachten arabische Stämme aus den südlichen Gebieten der Arabischen Halbinsel bis zur „Küste von Oman“, andere Wellen von Völkerwanderungen kamen aus dem Norden, speziell aus Zentral- und Nord Arabien. Größere Gruppen von arabischen Stämmen kamen erst etwa seit dem zweiten Jahrhundert v.Chr. an, wobei die Ankömmlinge ihre bereits hoch entwickelten, stammesmäßigen Strukturen beibehielten. Diejenigen, die später kamen, mussten sich in einem rauhen Klima und einer wenig wirtlichen Umgebung in den kaum bewässerten Teilen des Landes zurechtzufinden und waren daher sehr stark auf nomadische Weidewirtschaft angewiesen.

2.2 Abstammungsmythen und „Stammbäume“

Das arabische Modell stammesmäßiger Organisation basierte auf engen Gruppen gleicher Abstammung, die in der Regel davon ausgingen, dass sie von einem gemeinsamen Vorfahren abstammten. Tatsächlich ist diese Berufung auf einen gemeinsamen Vorfahren oft eher mythologischer Natur, als dass sie durch ein lückenloses „Stamm(es)buch“ verifiziert oder gar dokumentiert werden kann. Doch ist sie dadurch nicht weniger lebendig im „kollektiven Gedächtnis“ des Stammes.

Im östlichen Arabien sind zwei der bedeutendsten stammesmäßigen Gruppierungen die „Qahtan“ und die „Adnan“. Die Qahtani (auch als „Yemeni“ bezeichnet), sind, so nimmt man an, in früheren Zeiten vom Jemen aus in den Süden des Oman emigriert, während die Adnani (auch als „Nizari“ bezeichnet), die im nördlichen Oman sowie an der „Trucial Coast“, in Bahrain und Qatar siedelten, vermutlich aus dem Norden kamen. Der Ursprung dieser Namen resultiert aus dem Glauben, dass die Stämme im Norden der Halbinsel von „Adnan“, einem der Söhne Ismails abstammen, während die Stämme des Südens abstammen von „Qahtan“, einem der Söhne Noah’s, wobei letztere sich als „reinblütiger“ betrachteten als die aus dem Norden. Menschen im Golf schreiben die Struktur von Stammesallianzen oft dieser Nord-Südunterscheidung zu und viele klassifizieren ihre Stämme als „Adnani“ oder „Qahtani“. Schon in vorislamischen Zeiten haben sich Stämme oft allein auf Grundlage dieser Unterscheidung untereinander attackiert, wobei allerdings Stammesgebräuche verhindert haben, dass diese Attacken in unkontrollierte Gewalt ausarteten.

Eine weitere wichtige Prägung im östlichen Arabien und damit auch in den VAE ist die Eingruppierung eines Stammes als „Hinawi“ oder „Ghafiri“. Diese Unterscheidung geht zurück auf einen Erbfolgestreit im Oman, in dessen Verlauf sich die Anhänger rivalisierender Erben um zwei Stämme gruppierten, die jeweils einen Kandidaten unterstützten. Dies waren zum einen die Bani Hina (Singular: Hinawi), zum anderen die Bani Ghafir (Singular: Ghafiri). Diese Polarisierung hielt bis Mitte des 20. Jhd. an, wobei die einzelnen Stämme je nach politischen Opportunitäten auch immer wieder mal die Seiten wechselten.

In einem gewissen Sinne hatte diese Polarisierung auch tiefere ethnische und religiöse Hintergründe insofern, als die meisten der Hinawi-Stämme ursprünglich auch „Adnanis“ sind, also aus dem Yemen stammen, während die Ghafiri-Stämme eher ursprünglich aus dem Norden stammen sollen, also „Nizaris“ sind. Und auf religiöser Ebene sind die „Hinawi-Stämme“, soweit sie aus dem omanischen Stammgebiet kommen eher „Ibaditen“, während die „Ghafiri“ überwiegend Sunniten sind. In den VAE gehören beide Fraktionen der sunnitischen Richtung des Islam an. Doch innerhalb dieser bekennen sich die Hinawi eher zu der malikitischen Rechtsschule, während die „Ghafiri“ geographisch eher im Gebiet der „Nördlichen Emiraten“ (vor allem Sharjah, Ras al Khaimah, Ajman und Umm al Quwain) zu finden sind und zumindest mehrheitlich der eher konservativen hanbalitischen Rechtsschule zuzuordnen sind, die auch dem streng konservativen puritanischen Wahabismus in Saudi-Arabien zugrunde liegt.

Andere Stämme beziehen sich auf relativ konkrete und teils auch genealogisch verifizierbare Vorfahren. Die Bani Al Murrah (Singular: Al Merri) etwa, die ursprünglich aus Saudi Arabien kommen, aber im ganzen Golf zu finden sind, führen ihren Stamm zurück auf eine Figur namens Murrah, der schon einige Zeit vor dem Propheten Mohamed gelebt haben soll.

Der Name eines Stammes kann sich auch aus einem Ereignis in der Vergangenheit ableiten. Der Name „Utub“ zum Beispiel, also jener Stamm, zu welchem die Herrscherfamilien Al Sabah aus Kuwait und die Al Khalifa aus Bahrain gehören, kommt von dem arabischen Wort für „wandern“. Im Jahre 1744 „wanderte“ eine ursprünglich zu dem weit verbreiteten Stamm der Al Tamim gehörende Stammesgruppe aus der Wüste im Inneren der Arabischen Halbinsel in die Golfregion und wurde so zum Stamm der „Utub“.

2.3 „Bedu“ und „Hadar“ – Wüste und Siedlung

Mythen der Abstammung und Assoziationen mit stammesmäßigen Genealogien werden jedoch noch durch andere Merkmale ergänzt. Dabei spielt auch die Geographie der arabischen Halbinsel und die dadurch bedingte Lebensweise seiner Bewohner eine wesentliche Rolle. Der Stamm in der arabischen Welt ist fast synonym mit dem Begriff „Beduine“ (bedu), ursprünglich die Bezeichnung für jemanden „ der durch die Wüste umherstreift“. Da es nahezu unmöglich ist, allein in der Wüste zu überleben, taten sich Familien zusammen, um Wasser zu finden und ihre Herden zu neuen Weidegründen zu führen. Hatten sie einmal durch ihre kollektive Aktion die notwendigen Ressourcen etabliert, so bewachten sie diese eifersüchtig und waren nicht besonders geneigt, sie mit Außenstehenden zu teilen. Es wurde daher notwendig, Grenzen zwischen Mitgliedern der Gruppe oder zwischen dem Stamm und Außenstehenden zu ziehen. Die Zugehörigkeit zum Stamm wurde begrenzt, um seinen Solidaritätssinn zu bewahren.

Die Gleichstellung Beduine und Stammesangehöriger ist allenfalls insofern berechtigt, als ja tatsächlich der größte Anteil der Bevölkerung auf der arabischen Halbinsel aus Beduinen bestand und diese sich auch noch bis heute als die „blaublütigen“ Ureinwohner betrachten. Doch charakteristisch für das Stammeswesen auf der arabischen Halbinsel war auch die Interaktion mit den sesshaften Bevölkerungsgruppen, den sog. „Hadar“ in den entsprechenden Siedlungsgebieten, den Oasen, wo bewässerte Landwirtschaft florierte oder in Siedlungen an der Küste, wo Handel, Fischfang, später das Perltauchen, florierte. Dieser Gegensatz zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Bedu und Hadar spiegelte sich über die ganze Region wieder. Während die städtischen Gebiete weitgehend außerhalb der Sphäre der Stämme waren, so verband sie doch mit diesen ein komplexes Beziehungsnetzwerk. Die Stämme bildeten das Hinterland für den Handel, kontrollierten wichtige Handels- und Pilgerrouten und stellten für die Herrscher Streitkräfte zur Verfügung. Gleichzeitig waren sie jedoch wegen der häufigen Raubzüge (razu) für die Städte eine ständige Bedrohung. Trotz der politischen Differenzen zwischen Zentrum und Peripherie hielten die Stammesleute im Nahen Osten traditionell enge wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen mit ihren städtischen Nachbarn aufrecht. Hinzu kam, dass diese Gegensätze durchaus flexibel waren, sich das nomadische Dasein saisonal mit Sesshaftigkeit abwechselte, und Beduinen im Laufe des Jahres temporär teilweise durchaus auch anderen Tätigkeiten nachgingen. In ihrem für die Entwicklungsgeschichte der VAE auch für die Beschreibung des Stammeswesens grundlegenden Werk: „Die Vereinigten Arabischen Emirate zwischen Vorgestern und Übermorgen“-das eigentlich Pflichtlektüre ist für jeden, der mit den VAE zu tun hat - beschreibt die seit fast einem halben Jahrhundert in Abu Dhabi lebende deutsche Historikerin und Autorin Frauke Heart-Bey (i.F.: Heart-Bey ) in sehr anschaulicher Weise das gerade im Gebiet des heutigen Abu Dhabi zu findende „vielseitige Stammesmitglied“ („versatile tribesman“), der vielseitig und beweglich im Laufe des Jahres verschiedenen Tätigkeiten nachging, um trotz den widrigen klimatischen und geographischen Bedingungen sein meist karges Auskommen zu sichern. Manche Stämme oder Stammesgruppen gaben das Nomadendasein ganz auf, kauften Dattelgärten in den Oasen oder siedelten sich an der Küste an, um Fischfang oder Schifffahrt zu betreiben sowie Perlen zu tauchen. Doch unabhängig von ihren verschiedenartigen Beschäftigungen und der Art ihres Lebens, blieben sie kulturell Beduinen, solange wie sie enge soziale Bindungen mit der nomadisierenden Verwandtschaft hielten und so behielten sie auch die lokalen linguistischen und kulturellen Marksteine, die sie als Beduinen identifizierten. So hat der Begriff Beduine eine wichtige Bedeutung im Sinne von kultureller Identität angenommen, zusätzlich verstärkt von der Assoziation mit stammesmäßigen Genealogien und den Mythen der Abstammung.

2.4 Stammesgruppierungen

Strukturell sind nomadische Stammesgruppen gemäß ihrer väterlichen Linie (patri-linear) organisiert was wiederum Individuen in zunehmend größeren Segmenten vereinigt. Die kleinste funktionale Einheit ist die „hamula“, die aus drei bis sieben Generationen einer Familie über die väterliche Linie verwandt ist. Da Familienmitglieder Cousins väterlicherseits sind, wird die „hamula“ auch oft „ibn amm“ (amm ist auf arabische der Onkel väterlicherseits) oder „ahl“ genannt. Die Praxis der parallelen Heirat der Cousine ersten Grades (die Tochter des Bruders des Vaters) hielt die Linie beisammen auf Kosten der Entwicklung von Beziehungen mit anderen Stammesgruppen, getragen von dem Glauben, dass solche Hochzeiten die Ehre und die Reinheit der Linie aufrecht erhielten und dass sie die Ausbreitung von Armut verhinderten. Selbst wenn die Heirat außerhalb der väterlichen Linie stattfand, lag sie gewöhnlich innerhalb des Stammes. Heiraten außerhalb des Stammes dienten allenfalls manchmal dazu, die Stammeslinie über die blutsmäßige Linie auszudehnen oder neue Allianzen mit anderen Stämmen zu bilden, aber im allgemeinen tendierten die Menschen dazu, innerhalb des Stammes zu heiraten. Diese Heiratsmuster schufen stringente patri-lineare Linien über lange Zeiträume hinweg, allerdings eine geringere Affinität oder Beziehungen zu Linien mütterlicherseits.

Der Wohnsitz innerhalb einer Linie ist das „bait“ (Haus oder Zelt) das gewöhnlich aus Mitgliedern der Kernfamilie besteht, einschließlich Frauen und Kindern. Mitglieder einer einzelnen Linie wohnen gewöhnlich nahe zusammen und weiden ihre Tiere als eine Einheit; Wasserläufe und Brunnen, werden innerhalb der Linie gemeinsam genutzt. Die Linie bringt die gemeinsame Verantwortung mit sich, Unrecht gegenüber ihren Mitgliedern zu rächen oder Entschädigung zu zahlen für einen Schaden, den ein Mitglied der eigenen Linie angerichtet hat. Die Linien untereinander unterstützen oder bekämpfen sich gegeneinander je nach dem Grad ihrer Verwandtschaft.

Dieses Ideal, obwohl es wahrscheinlich oft genauso oft missachtet als eingehalten wurde, gab Anlass zu dem ethnographischen Klischee, wie es oft von Anthropologen und Stammesleuten gleichermaßen zitiert wird: „ich gegen meine Brüder; meine Brüder und ich gegen unsere Cousins; meine Brüder und meine Cousins und ich gegen den Rest der Welt.“

Oberhalb des Segments der „Linie“ gibt es größere Segmente. Der „Fakhd“ besteht aus einer Anzahl von Linien. Es folgt der „Ashira“ (pl. Ashai‘r), der aus zahlreichen Fakhd‘s besteht, mehrere Fakhd’s bilden schliesslich einen Stamm („Qabila“), darüber gibt es dann noch, als dann schon eher politische Konfiguration den Zusammenschluss mehrerer Stämme zu einer Stammeskonföderation.

Jeder Stamm hat bestimmte Charakteristika, so wie etwa unterschiedliche Kleidung und Gebräuche und auch unterschiedliche Wortbegriffe, wobei letzteres aber seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts wegen der fließenden Entwicklungen der Gesellschaft am Golf immer weniger als Unterscheidungsfaktor taugte. Diese Stammesgruppierungen sind zwar über die Geschichte hinweg mehr oder weniger gefestigt geblieben, es haben sich jedoch auch oft Untergruppen von ihrem Stamm abgelöst, um Allianzen mit anderen Stämmen zu bilden und Stämme haben sich oft zusammen geschlossen, um eine mächtigere Gruppe zu bilden.

Obwohl einige Stämme ihren Ursprung auf eine heroische Figur zurückführen, liegt die reale Identität des Stammes in den Menschen, die ihn gegenwärtig ausmachen. Die Selbsteinschätzung und Selbstachtung, die jemand von sich hat, beruht zu einem großen Teil auf der Ehre des Stammes als Ganzes.

2.5 Stammesführer

Führung in den egalitären Stammessystemen zeichnet sich durch wenig Hierarchie aus. Obwohl einige Linien eine größere Fähigkeit demonstrierten, als andere, politische Führung zu übernehmen, betrachtet sich jede Linie auf gleichem Niveau wie jede andere, bzw. sind Statusdifferenzen allenfalls zeitlich begrenzt. Führer in solchen egalitären Stammesorganisationen erhalten ihre Position auf Grund besonderer Fähigkeiten, bei Problemen innerhalb des Stammes zu vermitteln oder erfolgreiche Beutezüge und Kriege zu organisieren. Es ist ein erworbener Status, den die Söhne nicht automatisch von ihrem Vater erben können, denn es gibt immer Potenzial von Rivalen, die bereit sind, die Gelegenheit nutzen, einen Führer oder seine Nachkommenschaft zu ersetzen. Solch eine Rolle hat daher nur sehr wenig inhärente Macht, denn die Fähigkeit ohne Konsens zu kommandieren ist extrem beschränkt. Die Notwendigkeit seine Führungsqualitäten zu beweisen indem man einen sozialen Konsensus herstellen kann, zeigt sich sehr klar bei den Verhandlungen von Sheikhs der Beduinen. Sie müssen etwa bei einer Blutsfehde die streitenden Parteien überzeugen, eine Lösung zu akzeptieren, obwohl sie nicht die Autorität haben, etwa eine Strafe gegen die Mörder auszusprechen oder die Opfer der Mörder zwingen, Blutgeld zu akzeptieren. Rivalisierende Gruppen zu überzeugen, sich zu einigen, bringt mit der Zeit größeres Prestige und Gefolgsleute.

Man könnte sich allerdings trefflich streiten über die Frage, ob dieses Ideal struktureller Gleichheit in Wirklichkeit jemals tatsächlich existierte, zumal immer wieder herrschende Linien auftauchten, die ihre Nachbarn dominierten. Jedoch selbst wenn solche Linien Kontrolle über ihre Rivalen erhielten, so identifizierte die egalitäre Ideologie doch eine solche Dominanz eher mit Unterdrückung („zulm“), unterminierte ihrer Ausdehnung und brachte sie schließlich meistens zu Fall. Entsprechend wird die stammesmäßige Führung oft beschrieben als „primus inter pares“, welches eine kollektive Führung annimmt, in der einer der Führer als der mit der meisten Autorität hervorsticht. Dieser im Vordergrund stehende Führer muss sich weiterhin mit seinen Kollegen beraten und regiert daher durch „consensus“. Ohne eine starke Gruppe von Unterstützern, die außerhalb des familiären Netzwerks standen, waren die Führer egalitärer Stämme immer auf das Wohlwollen ihrer Gefolgsleute angewiesen, ungeachtet ihrer vergangenen Verdienste.

3. Von der „Leading Family“ zur „Ruling Family“ - vom „ Sheikh“ zum „Herrscher“

Eine Ausdehnung dieses Prinzips der Führerschaft ist das Konzept der „führenden Familie“ (leading family) im Stamm. Obwohl das Stammeswesen starre Autorität eher gering bewertet, werden Führungstraditionen nichtsdestotrotz weitergereicht und erwarten die Stämme, dass bestimmte Familien sie Generation auf Generation mit Führern versorgen. Dies war insbesondere dann der Fall, wenn Stämme, die früher nomadisch waren, sich in Oasen oder Küstensiedlungen niederließen. Denn dadurch stieg die Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte Familien Wohlstand anhäufen und durch die Gewährung von Wohltaten, etwa Verteilung von Nahrungsmitteln oder anderer Güter, ihre Autorität stärken konnten. Auf diese Weise etablierten sich etwa zu Beginn des 19. Jhdt. die Familien, die heute die Golfstaaten kontrollieren. Hauptursächlich für diesen Prozess waren in den meisten Golfstaaten einmal die Beziehungen mit Großbritannien und zum anderen die Entdeckung des Erdöls.

Die Umwandlung der „Leading Families“ in bestimmten Stämmen zu „Ruling Families“ durch die Briten ist vielleicht die offensichtlichste Manifestation des arabischen Stammeswesens in der modernen Golfgesellschaft. Ein Element dieser Manifestation ist ein großes Maß an kollektiver Führung innerhalb dieser Familien. In den meisten Staaten wird die Position des Herrschers nicht notwendigerweise vom Vater auf den Sohn übertragen, sondern alterniert zwischen verschiedenen patri-linearen Abstammungslinien innerhalb der Familie. Das macht die Ernennung eines neuen Herrschers zu einem ergebnisoffenen Tatbestand und manchmal einen Tatbestand, zu dem die ganze engere Familie zustimmen muss. Die Familie partizipiert auch in den verschiedenen konsultativen Gremien, die den Führer beraten. Solche Institutionen, die auch Persönlichkeiten außerhalb der Herrscherfamilie einschließen können, halten das „Primus Inter Pares“ -System bis zum heutigen Tag in modifizierter Form aufrecht.

Obwohl man auch in Bezug auf Oman und den Jemen, die beiden Proto-Staaten auf der arabischen Halbinsel, feststellen kann, dass auch hier sich die jeweiligen Herrscher und Regime letztlich auch sehr stark im Kontext tribaler Entwicklungen und Strukturen entwickelt haben, liegt dennoch die Entwicklung dieser Staaten aus Stammesführerschaften nicht so klar zu Tage wie bei den anderen Golfstaaten.

Eine gewisse Einschränkung zu dieser Charakterisierung möchte man auf den ersten Blick auch in Bezug auf das Königreich Saudi-Arabien (KSA) machen. Denn dieses nahm ja in seiner geschichtlichen Entwicklung eine Sonderentwicklung insofern, als es nicht wie die anderen späteren Golfstaaten mehr oder weniger von der Kolonialpolitik Großbritanniens geformt wurde. Und auch das Haus „Al Saud“ – ursprünglich ein führender Landbesitzer-Clan in der Oase Dirryiah im Inneren der Arabischen Halbinsel – konnte sich nicht – wie etwa seine große Konkurrenz zu Anfang des letzten Jahrhunderts, das Haus der „Al Rasheed“ aus einem der auch heute noch größten Stämme Arabiens, den „Al Shammar“ ableiten, sondern verdankt seine Entstehung letztlich der Kriegskunst des Staatsgründers Abdel Aziz Al Saud, üblicherweise als „Ibn Saud“ bezeichnet. Doch auch „Ibn Saud“ stützte sich - als „ Imam Al Mu‘minin“ (Führer der Gläubigen) legitimiert durch seinen religiösen Bundesgenossen Muhamed Ibn Abd Al Wahab - bei seinen Eroberungszügen sehr stark auf die Stämme der sog. Najd-Region im Inneren des heutigen KSA. Aus diesen Stämmen formierten sich auch, neben der sesshaften Bevölkerung der Oasen, insbesondere die „Ichwan“, eine fanatisch puritanisch- religiöse Formation von Stammesangehörigen, die, neben der Ausbreitung des Islam, auch durchaus alte Stammesbräuche, wie etwa die Durchführung von Beutezügen bis zur Verschleppung und Versklavung von unterlegenen Gegnern pflegten. Und so spielen auch – ohne dass dies an dieser Stelle vertieft ausgeführt werden soll – auch in Saudi-Arabien die Stämme bis heute eine große Rolle und prägen auch hier noch in starkem Masse die modernen Entwicklungen.

4. Von der Stammesführerschaft zum Staat

In den übrigen Golfstaaten hängt der wichtigste Faktor für die Entwicklung von Stammesführerschaften zu Nationalstaaten zusammen mit der Konsolidierung des Einflusses Großbritanniens am Golf, speziell im 19. Jahrhundert. Dieser Anstieg der wichtigen Rolle Britanniens - und gleichzeitig der Ausschluss europäischer und osmanischer Rivalen - verlief mehr oder weniger parallel mit der Entwicklung bestimmter Stämme auf der arabischen Halbinsel. So etwa mit der Wanderung von Stämmen aus dem saudi-arabischen Najd , etwa die Al Khalifa und Al Sabah, nach Kuwait und Bahrain Mitte des 18. Jahrhunderts. Die wichtigen Familien in Kuwait formten eine Partnerschaft, wobei die Al Sabah für die politischen Angelegenheiten zuständig waren, während andere sich auf Handelsaktivitäten konzentrierten. Die Entwicklung vom Bahrain zu einem modernen Staat war sehr viel komplizierter. Zunächst einmal kamen die Al Khalifa und ihre Stammesverbündeten aus dem Najd als Eroberer ins Land. Die Art, wie sie schließlich ihre Kontrolle über die wesentlich zahlreichere einheimische Bevölkerung, die Baharina (eingeborene schiitische Araber) wie auch die kleineren Gemeinschaften der Hawala, das sind Familien, die aus dem Persischen Golf zugewandert waren und arabische Ursprünge haben, sowie schließlich auf die ethnischen Perser ausübten, hat von Anfang an bis heute die Politik und die gesellschaftlichen Verhältnisse in Bahrain geprägt.

5. Vom „Trucial Oman“ zu den VAE

Bis zu ihrer Unabhängigkeit im Jahre 1971 waren die VAE (und teilwiese andere Gebiete an der Küste des Persischen Golfes, wie etwa das heutige Katar) bekannt als die „Trucial Coast“ oder oft auch als „Trucial Oman“. Eine wichtige Thematik betraf dabei die Frage, was eigentlich den Oman ausmachte. Oman besteht heute aus dem Gebiet des Sultanats einschließlich Dhofar. Aber in der Vergangenheit schloss die geographische Definition von Oman Dhofar aus, beinhaltete aber gleichzeitig das Territorium, das heute die VAE umfasst. Letztlich war die Politik Großbritanniens dafür verantwortlich, das heutige Gebiet der VAE als „Trucial Coast“ zu transformieren in eine selbständige politische Einheit, deren lokale Sheikhs nicht etwa dem Sultan von Oman, sondern nur den Briten gegenüber verantwortlich waren. Deshalb stellte sich zum Zeitpunkt des britischen Abzuges und der Unabhängigkeit im Jahre 1971 auch nicht mehr ernsthaft die Frage einer Einheit der VAE mit dem Sultanat von Oman. Der Name „Trucial Coast“, der abgeleitet ist aus dem Beitritt der Scheichs zu dem mit Großbritannien geschlossenen „Vertrag über den immerwährenden maritimen Frieden“ (1853) ersetzte die frühere in Europa vorherrschende Bezeichnung als „Piratenküste“. Während der Golf in der Tat einigen Freibeutern im 18. und 19. Jahrhundert Heimat bot, war die Anschuldigung der Piraterie in erster Linie gegen die Al Qassimi gerichtet und verschiedene britische Strafexpeditionen wurden Richtung Ras Al Khaymah und andere Stützpunkte der Al Qassimi geschickt. In der Folge hat sich die Machtbalance entlang der früheren Piratenküste Richtung Süden, also nach Abu Dhabi, verlagert, später natürlich noch zusätzlich befördert durch die Tatsache, dass sich mehr als 90% der Erdölvorkommen in Abu Dhabi befinden. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts war es dem Scheikh von Abu Dhabi, Zayed Bin Khalifa (1855-1909) gelungen, ein enges Netz von Stammesallianzen und Koalitionen zu schmieden und damit einen starken und mächtigen „Staat“ in Abu Dhabi zu schaffen. Etwa zur gleichen Zeit gelang es den Al Maktoum im nahe gelegenen Dubai, sich als regionale Macht zu etablieren. Der relative Wohlstand Dubais bestand schon vor dem Aufkommen der Ölwirtschaft, aber besonders für Abu Dhabi war der Wohlstand aus dem Öl schließlich ursächlich für seinen Aufstieg zur Vorherrschaft entlang der Trucial Coast und schließlich die Übernahme der Präsidentschaft der neu geschaffenen unabhängigen Föderation der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Gleichwohl blieb nach der Staatsgründung zunächst eine relativ fragile Führerschaft und ein starkes Beharren der verschiedenen sieben Emirate auf weitgehender Autonomie in einer Vielzahl von Bereichen bestehen. Die VAE schulden letztlich ihre Geburt dem Stimulus, der durch die Absicht Großbritanniens entstand, sich im Jahre 1971 aus dem Golf zurückzuziehen, dem Jahr, als mit Ausnahme Kuwaits, das bereits seit 1961 unabhängig geworden war, alle anderen politischen Gebilde der Trucial Coast ihre Unabhängigkeit erhielten. Während der physische Abzug militärisch letztlich nur den Abzug von ein paar tausend Soldaten beinhaltete, bedeutete er politisch das Ende der britischen Vorherrschaft am Golf, das Ende auch ihrer Verantwortung für die Integrität der Staaten, die bisher unter ihrem Schutz gestanden hatten. Damals bestand eine erhebliche internationale Besorgnis, was die Zukunft des Golfes anbelangt, vor allem wegen der Verletzlichkeit der territorial kleinen und bevölkerungsarmen Ölstaaten. Es gab daher zunächst, nachdem die Briten ihre Absicht kundgetan hatten, sich aus dem Golf zurückzuziehen, hektische Verhandlungen, um eine größere politische Einheit zu schaffen. Am Ende entschieden sich Bahrain und Qatar, ihre eigenen Wege zu gehen und überließen es nur den kleineren Emiraten, sich zu den Vereinigten Arabischen Emiraten zusammenzuschließen.

6. Nationalstaat mit Tradition

Die Entdeckung von Erdöl und der nachfolgende Zufluss von Öleinkommen war ohne Zweifel das Schlüsselphänomen in der jüngeren Geschichte der sechs ölproduzierenden Monarchien am Golf.

Denn sie brachte eine fundamentale Revolution im Charakter der Staaten auf der Halbinsel mit sich, nämlich eine Transformation dieser traditionellen tribalistischen Staaten zu „Nationalstaaten“, in einigen Fällen besser gesagt zu „Stadtstaaten“, wobei man die herrschende Staatsform in den Golfstaaten im allgemein politologischen Vokabular generell als „Monarchie“ bezeichnet, ausgestattet mit den üblichen staats-und völkerrechtlichen Insignien wie Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsmacht sowie völkerrechtlicher Souveränität.

In formalen Begriffen sind diese Territorialstaaten also moderne Gebilde, aber ihre Wurzeln sind alt und die Legitimität ihrer Herrscherfamilien basiert auf traditionellen Beziehungen. Diese traditionelle Legitimität der „Monarchien“ in der Unteren Golfregion , ob nun an der Spitze als „Herrscher“ (Ruler, Hakim) oder „Emir“ oder „Sultan“ oder, wie in Bahrain oder KSA gar als „König (Malik) tituliert, leitet sich zu einem großen Teil ab von dem stammesmäßigen und kulturellen Umfeld ab, in welchem diese Staaten sich entwickelt haben und welches ihre Gesellschaften nach wie vor umfasst. Die herrschenden Familien („Ruling Families“) stellen einen integralen Teil des stammesmäßigen Systems dar und ihr Status als führende „Sheikh-Familie“ ist daher als natürlich akzeptiert. Die Kultur verlangt Respekt für den Vater als Oberhaupt der Familie - und in Auslegung dessen, des Ältesten der Gemeinschaft - dessen Wort bindend und unanfechtbar ist. Die Stellung des Herrschers als Staatsoberhaupt kann man als eine Extrapolation dieses patriarchalischen Prinzips ansehen, d.h. der Herrscher ist das Oberhaupt des Staates und seiner Bürger, genau wie der Scheikh das Oberhaupt des Stammes und seiner Stammesangehörigen ist. Indem die Herrscher immer noch einen Großteil ihrer Legitimität aus ihrer Rolle als Stammesführer ableiten, die in der Geschichte und Kultur der Unteren Golfregion gründet, so bleiben viele wichtige Regierungsposten und auch Militärpositionen in den Händen der Stammeseliten, welche die Herrscher seit je her unterstützt haben.

Obwohl also vielleicht der profundeste Einfluss des Tribalismus auf die modernen Staaten am Golf der war, dass die Herrscherfamilien (Ruling Families) aus Stammesführern hervorgingen, gab es noch andere wichtige Auswirkungen. Eine ganze Reihe von essenziellen Konzepten, die in das Regierungssystem im östlichen Arabien eingeflossen, gründen sich unmittelbar auf Stammesbräuche. Unter diesen Konzepten ist das des „Majlis“, wo der individuelle Bürger unmittelbar Zugang zu dem Führer erhält und damit die Gelegenheit hat, seine Belange vorzubringen. Eine andere Erscheinungsform ist die „Shura“, der Prozess der Beratung des Herrschers mit den Noblen des Stammes oder der Gemeinschaft, ein Konzept, das in den meisten Regierungssystem in der Region in der Form von konsultativen oder legislativen Versammlungen inkorporiert wurde.

7. Moderne Gesellschaft und Stammestradition

Es lässt sich andererseits nicht leugnen, dass das traditionelle Umfeld in den vergangenen etwa sieben Dekaden, welche die Öl-Zeit geprägt haben, und dabei insbesondere seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, sich sehr stark geändert hat. Die Gesellschaften haben sich weiterentwickelt, Regierungs- und Verwaltungsinstitutionen haben sich ausgebreitet, die Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft sind diffiziler geworden und traditionelle Beziehungen zwischen „Patron“ und „Klient“ wurden in starkem Masse überlagert oder sogar ersetzt durch neue gewachsene Beziehungen, die sehr stark auch auf Erziehung, Ausbildung oder beruflichen Interessen beruhen. Hierzu trug natürlich auch die Einführung formaler politischer und staatlicher Institutionen in allen sechs Staaten des Golfkooperationsrates sowohl auf nationaler wie auch lokaler Ebene bei.

Während jedoch die Herrscher Familien (Ruling Families) in ihrer Machtausübung mehr oder weniger unangefochten blieben, bzw. diese Macht - mit Hilfe der Schutzmacht Großbritannien und auch des Ölreichtums - sogar noch ausgebaut und staatsrechtlich verfestigt wurde, hatten diese neuen Entwicklungen nicht nur positive Auswirkungen auf die anderen Scheikh-Familien in den einzelnen Stämmen. In der Zeit vor dem Öl und der Zeit des frühen Öl-Zeitalters besaßen Scheikh-Familien unzweifelhaft Vorteile. Sie erfreuten sich relativen Wohlstandes, profitierten von engen Verbindungen mit der Herrscherfamilie und setzten, da ihre Führungsrolle innerhalb des Stammes unangefochten war, das Recht - sowohl Staatsrecht als auch Stammesrecht - durch. Besonders in der Frühzeit des Ölzeitalters verstärkte sich der Status der Scheikhs ganz besonders. Sie stellen Arbeitskräfte für die Ölgesellschaften wie auch Soldaten für die Armeen zur Verfügung oder verteilten, stellvertretend für den Herrscher, Wohltaten an die Stammesangehörigen. Ihre Kinder waren unter den ersten, die staatliche Erziehung genossen.

In späteren Jahren und Dekaden jedoch verminderte die Entwicklung moderner Regierungsstrukturen und deren Kontrolle durch Zentralregierungen die Unabhängigkeit der Scheikhs im Verhältnis zu der Regierung und auch gegenüber konkurrierenden Stämmen. Die Autorität der Zentralregierung wurde auf die Stammesebene ausgedehnt. Auch die im Ölzeitalter aufkommende soziale Mobilität verminderte die Rolle der Scheikhs bei der Führung innerhalb des Stammes, da die Stammesangehörigen weniger vom Stamm abhängig waren und durch Erziehung, leistungsbezogene Beschäftigung und geographische Unabhängigkeit auch außerhalb des Stammes Wohlstand erlangen, Beziehungen knüpfen und sich neue Möglichkeiten erschließen konnten. Auch wurde der soziale Status der Sheikhs bedroht durch scharfen Wettbewerb zwischen alten und neuen Eliten in den Gesellschaften, d.h. neben den traditionellen Kaufmannsfamilien, mit denen die Skeikh-Familien ja wie bereits dargestellt seit eh und je symbiotisch verbunden waren, nunmehr auch neue durch Ausbildung, berufliche Tüchtigkeit oder Reichtum geprägte Experten und „Emporkömmlinge“.

Aber trotz dieser modernen Entwicklungen sind die Privilegien der Scheikhs keineswegs gänzlich verschwunden. Sie profitieren weiterhin von einem bevorzugten Status, von einem starken Netzwerk und Bindungen innerhalb des eigenen Stammes, zu Scheikhs anderer Stämme, zu Herrscherfamilien und religiösen Führern. Denn man sollte nicht vergessen, dass die Herrscherfamilien am Golf sich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts ja selbst ihrerseits aus Scheikh-Familien entwickelten und auch heute noch in vielen Fällen extrem enge Verbindungen mit den Stämmen, teils auch durch

Heiratsverbindungen, aufrechterhalten.

8. Stämme in den VAE

Bei der Aufzählung und Beschreibung der Stämme in den VAE ist es systematisch sinnvoll, mit den Stämmen im Gebiet der früheren „Vertragsstaaten“ („Trucial States“) anzufangen, also im heutigen Abu Dhabi, da hier die stammesmäßigen Strukturen in der Geschichte wie auch noch bis zum heutigen Tag am deutlichsten ausgeprägt sind. Mit gewissen Abstrichen gilt das auch für Dubai, das allerdings auch zumindest genauso stark von den traditionellen Kaufmannsfamilien geprägt ist. Dies sind zunächst einmal die Stämme aus der Stammeskonföderation der Bani Yas sowie der mit diesen seit langer Zeit verbundenen anderen Stämme.

Ein weitere Gruppe sind diejenigen, die außerhalb des angestammten Gebietes der „Bani Yas & Friends“ lebten und nicht immer mit diesen gut auskamen.

Schließlich diejenigen Stämme, die überwiegend unter der Herrschaft bzw. der Rechtsprechung der Al Qassimi standen, also die nördlichen Gebiete der heutigen VAE.

Die nach wie vor grundlegende Dokumentation und Analyse der Stämme in den VAE ist das Werk ivon Lorimer G.C.: „Gazeteer of the Persian Gulf, Oman and Central Arabia“, das – zunächst als Geheimdokument für den internen Gebrauch der britischen Regierung von Indien verfaßt- im Jahre 1908 in Calcutta veröffentlicht wurde (i.F. Lorimer). Auch das bereits erwähnte Werk von Heart-Bey - erstmals in Englisch erschienen im Jahre 2010, inzwischen auch in deutscher und arabischer Übersetzung vorliegend - nimmt starken Bezug auf Lorimer, ergänzt diesen aber um aktualisierte Statistiken und eine vertiefte Analyse und Beschreibung .

Unter Verweis auf diese beiden Werke, insbesondere von Heart- Bey, die auch den geschichtlichen, politischen und gesellschaftlichen Kontext wissenschaftlich exakt und gleichzeitig anschaulich schildert, wird in den nachfolgenden Ausführungen nur eine summarische Beschreibung der wichtigen Stämme gegeben, fokussiert auf die Hauptintention dieses Artikels, beispielhaft aufzuzeigen, welche Rolle wichtige Stammesangehörige auch heute noch im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben einnehmen.

9. Stämme im ehemaligen „Vertragsgebiet der Trucial States“ (Abu Dhabi und Dubai)

9.1 Die „Bani Yas“

Man kann die Bani Yas am besten charakterisieren als eine ziemlich lockere Stammesföderation. Einige der etwa 12 Sektionen betrachteten sich sogar als selbstständige unabhängige Stämme, speziell wenn sie in anderen, nicht von den Al Nahyan beherrschten Gebieten unterwegs waren. Sie gehören nahezu ausschließlich der oben erläuterten Hinawi-Fraktion an und bekennen sich zur malikitischen Rechtsschule, was in der jüngeren Geschichte zu zahlreichen und teilweise langwierigen Fehden und auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit Saudi-Arabien führte, wo die durch den Wahabismus sogar noch puritanisch verschärfte konservativere hanbalistische Rechtsschule gilt.

.Zu Beginn des letzten Jahrhunderts betrug die Anzahl der Bani Yas etwa 12.000, von denen etwa ein Sechstel als Nomaden lebte, jedoch ebenso wie die übrigen Bani Yas gewöhnlich das ganze Jahr auf dem Territorium von Abu Dhabi verbrachten. Der weitaus größte Teil der seßhaften Ban Yas lebte in den Liwa-Oasen im Landesinneren, kleinere Teile in Abu Dhabi-Stadt und in Dubai, der Rest in Siedlungen um die Buraimi Oase (Al Ain), sowie in Siedlungen an der Küste oder vorgelagerten Inseln. Im Laufe der Jahre hat die Zahl der Bani Yas beträchtlich abgenommen Insbesondere in der Mitte des vorigen Jahrhunderts wanderten viele Einzelpersonen oder auch ganze Familien in umliegende Golfstaaten aus, wo sie in der Ölindustrie Beschäftigung fanden. Ein Hauptgrund hierfür war - abgesehen davon, dass Öl in Abu Dhabi erst später als in anderen Golfländern gefunden und gefördert wurde - dass viele Stammesangehörige unzufrieden waren mit den Lebensbedingungen unter dem früheren Herrscher Schakbut Bin Sultan Al Nahyan. Einige der Auswanderer kehrten allerdings nach Abu Dhabi zurück, nachdem Sheikh Zayed Bin Sultan Al Nahyan (i.f. Sheikh Zayed) seinem Bruder nachfolgte und als neuer Herrscher das Emirat in die Neuzeit führte. Bei der ersten offiziellen Volkszählung in Abu Dhabi im Jahre 1968 wurden noch etwa 6000 Bani Yas gezählt.

Da die Bani Yas kein einzelner zusammenhängender Stamm, sondern eine Stammeskonföderation sind, ist die Zahl der Unterstämme oder auch mit den Bani Yas zeitweise oder permanent verbundener Stämme umstritten und schwankt zwischen 15 und 20 Untergliederungen.

Eine kleine aber sehr wichtige Untergruppe sind die Al Bu Falah, auch besser unter dem Namen Al Nahiyan bekannt, die von alters her den Scheich der Bani Yas und damit den Herrscher von Abu Dhabi stellten. Die Al Bu Falah siedelten in den Dörfern der Liwa, wo sie allerdings meistens mit ihren Kamelen nur den Winter verbrachten und sich im Sommer als Perlenfischer auf Booten anderer Untergruppen der Bani Yas betätigten. Auch besaßen sie Dattelpalmenplantagen in der Al Buraimi-Oase und entsprechen damit, wie die unten noch aufgeführten Al Qubaisat, am ehesten dem Muster des „vielseitigen Stammesangehörigen“ (versatile tribesman), wie er oben bereits beschrieben wurde.

Die Al Bu Falasah sind eine weitere Untergruppe der Bani Yas, die hauptsächlich deshalb zu Bedeutung gelangte, weil ein Teil der Gruppe in der Mitte des letzten Jahrhunderts als Folge eines internen Konfliktes nordwärts in das damalige Fischerdorf Dubai zog und dort - nicht ohne nachfolgende kriegerische Auseinandersetzungen mit den Nachbarherrschern Al Nahyian im Süden und Al Qassimi im Norden - unter der Führung eines gewissen Al Maktoum schließlich ein eigenständiges Emirat begründen konnte. Einige Teile der Al Bu Falasah blieben allerdings loyal zu den Al Nahyian und wohnten auch weiterhin im Gebiet von Abu Dhabi.

Nach diesen Untergruppen, aus denen die beiden Herrscherhäuser hervorgingen, ist eine wichtige und auch zahlenmäßig starke Untergruppe die der Al Sudan (manchmal auch Al Sawdan geschrieben; Singular: Al Suwaidi), die überwiegend in Küstengegenden – einige auch in Bahrain und Katar - lebten und überwiegend der Perlenfischerei, dem Perlenhandel, dem Fischfang und der Seefahrt nachgingen. Sie haben keinen Bezug zu dem namensähnlichen afrikanischen Staat, sondern führen ihre Linie zurück auf einen jemenitischen Scheikh namens Suwad Al Kindi, der zur Zeit des Propheten Mohamed aus dem Jemen in den Oman ausgewandert sein soll. Namensrechtlich ist dabei interessant, dass wiederum einige Untergliederungen der Al Sudan sich nicht in ihrem letzten Namensbestandteil Al Suwaidi nennen, sondern Al Kindi. So ist etwa eine Person, die sich Mohamad (= Vornahme), Humaid (= Name des Vaters) Hassan (= Name des Großvaters) Al Kindi nennt, dennoch letztlich als ein Stammesangehöriger der Al Sudan, also als ein Al Suwaidi zu definieren. Die Al Sudan erfreuen sich seit langem des Vertrauens der Al Nahyan, mit denen sie auch über verschiedene Generationen durch Einheirat verbunden waren und spielten in der Politik von Abu Dhabi stets eine große Rolle. Ohne Zweifel verstärkte sich diese Verbindung durch die Thronfolge eines berühmten Al Nahyan Herrschers im vorletzten Jahrhundert, dem auch als „Zayed der Große“ bezeichneten Sheikh Zayed Bin Khailfa Al Nahyian, dessen Mutter von den Al Sudan abstammte, und der sich bei seinem erfolgreichen Versuch, die Beduinen der Küstengebiete unter seine Herrschaft zu bringen, ganz wesentlich auf den Beistand der Al Sudan stützte. Seither haben finden viele Al Suwaidis Spitzenpositionen begleitet. Unter dem Staatsgründer, Sheikh Zayed, erfreute sich Ahmad Bin Khalifa al Suwaidi eines wichtigen Status als erster außenpolitischer Berater von Abu Dhabi, wurde dann Vorsitzender der Abu Dhabi Investment Behörde und schließlich Minister für Präsidentielle Angelegenheiten im föderalen Kabinett. In ähnlicher Weise avancierte Sheikh Zayeds zweiter wichtiger Berater aus den Sudan, Mohamed Bin Habush Al Suwaidi, von seiner ursprünglichen Position als Finanzberater zum Mitglied des Abu Dhabi Executive Council, zum Mitglied des Supreme Petroleum Council und schließlich zum Direktor der Abu Dhabi Investitionsbehörde. In den ganzen 1980iger und 1990iger Jahren dienten mehrere Al Suwaidis auf wichtigen Posten, etwa als Vorsitzende staatlicher Ölfirmen oder hohen Botschafterposten. Noch heute ist der Einfluss der Al Suwaidis ungebrochen stark, was man etwa darin sieht, dass sie in dem Executive Council von Abu Dhabi, dem wichtigsten staatlichen Entscheidungsgremium des Emirates, mit zwei Vertretern, und damit fast „auf Augenhöhe“ mit Vertretern der Al Nahyian, vertreten sind. Der „Senior“ unter den Al Suwaidis, Nasser Bin Mohamed al Suwaidi, sitzt darüber hinaus noch im ebenfalls einflussreichen Abu Dhabi Department of Planning and Economy. Andere mächtige Mitglieder der Al Suwaidi’s sind etwa Khalifa Mohamed Al Kindi, Vorsitzender von ADIC, weitere Mitglieder der Al Sudan sitzen in den Leitungsgremien anderer wichtiger staatlicher Organisationen, staatlicher Think Tanks, Banken sowie Sovereign Wealth Fonds, wie etwa ADIA. Einige Al Suwaidis haben auch wichtige Botschafterposten inne.

Nächst den Sudan sind die Al Mazari‘ (Singular: Al Mazrouei) die einflussreichste und wahrscheinlich bevölkerungsreichste Sektion, gleichzeitig ursprünglich die Untergruppe mit dem größten Beduinenanteil unter den Bani Yas. Später gaben allerdings viele das nomadische Dasein zumindest saisonal auf, wurden Perlenfischer oder kauften Dattelgärten in verschiedenen Oasen der Liwa-Region. Mit Beginn des Ölzeitalters waren sie oft beschäftigt als Sicherheitskräfte für die Ölfördergesellschaften. Obwohl man ursprünglich annahm, dass sie Teil der Ghafiri Fraktion und Anhänger der hanbalitischen Rechtsschule seien, scheint es, dass die Mazari‘ von Abu Dhabi sich zur malikitischen Schule bekennen. Sie stellten viele Stammesleute zur Verfügung, um für Sheikh Zayed bin Khalifa gegen die Einfälle der Wahhabiten im 19. Jahrhundert zu kämpfen und obwohl viele unzufriedene Angehörige der Sektion in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts Abu Dhabi in Richtung Dubai verließen, so blieben doch viele und spielten weiterhin eine wichtige Rolle auch im politischen Bereich. Im Jahr 1955 war Ahmad Bin Fadhil Al Mazrouei sogar der Beauftragte des Herrschers Scheikh Shakbut Bin Sultan für die Liwa und die ganze erdölreiche Westprovinz, die heutige „Western Region“. Und ab den sechziger bis zu den neunziger Jahren hatten die Mazari‘ wie die Sudan wichtige Posten im Emirat inne, teilweise auch auf der föderalen Ebene. Erwähnenswert ist, dass Youssf Bin Omeir - der allerdings das „Al Mazrouei“ in seiner Namensführung weglässt- bis 1994 der föderale Minister für Petroleum war und dann zu dem noch mächtigeren Posten des Direktors des Petroleum Council und des CEO des staatlichen Ölkonzerns ADNOC wechselte. In dieser Funktion war er auch von 2009 - 2011 Gründungspräsident der „Deutsch-Emiratischen Industrie- und Handelskammer (AHK)“. Ebenso wichtig war Ghaim Bin Faris Al Mazrouei als Vorsitzender von ADIA. Weitere Al Mazroueis sind Mitglieder im National Council, dem (beratenden) „Parlament“ der VAE, in den Leitungsgremien von Ölgesellschaften, Banken, Staatsunternehmen, wichtigen Posten im Sicherheitsapparat und der Armee sowie Kultur-und „Heritage“-Institutionen. Letzteres auch ganz besonders in Bezug auf die „Western Region“, also das traditionelle Siedlungs-und Stammesgebiet sowohl der Al Mazari‘ wie auch der Al Nahyian.

Einen wichtiger Teil der ständigen Bevölkerung der Liwa-Oasen, die allerdings früher auch teilweise der Perlenfischerei nachgingen und auch auf der Küste vorgelagerten Inseln siedelten, sind die Al Hawamil (Singular: Al Hamili). Später erwarben sie auch Besitz in der Buraimi-Oase (Al Ain) und hielten unter Scheich Schakbut auch einmal die Position des „Wali“ (Vertreters) des Herrschers in Al Ain inne. Unter Sheikh Zayed bekamen die Hawamil wichtige Posten im Militär, einschließlich Kommandeur und Vize-Kommandeur der Luftwaffe, waren im Abu Dhabi Executive Council sowie im föderalen Kabinett vertreten und halten auch heute noch viele Spitzenpositionen in den verschiedenen staatlichen Organisationen sowie Staatsfirmen und Wirtschaftsverwaltung.

Eine sehr wichtige Gruppe innerhalb der Bani Yas sind die Al Qubaisat (Singular: Al Qubaisi), nicht nur weil sie mit ihren vielerlei Betätigungen in den Oasen und an der Küste unter allen Untergruppen dem Typus des „vielseitigen Stammesangehörigen“ (versatile tribesman) am ehesten entsprachen, sondern weil sie auch politisch eine wichtige Rolle in der Politik der Bani Yas spielten. Sie machten sich nämlich im 19 Jahrhundert mehrere Male daran, sich - hauptsächlich um bestimmte Vertragsstrafen, die die Briten Abu Dhabi auferlegten, nicht zahlen zu müssen - von Abu Dhabi loszu lösen und hatten sogar versucht, östlich von Qatar eine eigene Siedlung, Khaur Al Udeid, zu gründen. Sie wurden aber jedes Mal wieder von dem Herrscher von Abu Dhabi gewaltsam daran gehindert. Viel später jedoch wurden die Al Qubaisat sogar mit der Herrscherfamilie verwandt, als der Vater des Staatsgründers, Sheikh Sultan Bin Zayed, eine Al Qubaisi heiratete und aus dieser Verbindung die beiden Brüder, Sheikh Shakbut Bin Sultan und dann Sheikh Zayed hervorgingen. Berühmtheit erlangte die Mutter, Salama Bint Buti Al Qubaisi, dadurch, dass sie – eingedenk der Tatsache, dass dynastische Streitigkeiten innerhalb der des Hauses Al Nahyian durchaus immer wieder auch mit dem Schwert ausgetragen wurden - ihren Söhnen, neben Shakbut und Zayed auch Khalid und Hazza, einen Schwur abnahm, dass sie in keinem Falle sich etwa im Rahmen dynastischer Streitigkeiten gegenseitig etwas antun sollten. Auch die Al Qubaisat belegen bis heute wichtige Positionen in Abu Dhabi. Angehörige der Al Qubaisat brachten es während der Zeit der Perlfischerei zu außergewöhnlichem Wohlstand und gehörten und gehören immer noch zum Schlüssel-Establishment in Abu Dhabi, mit wichtigen Positionen in allen Bereichen von Staat Wirtschaft und Gesellschaft. Aktuelle sehr prominent ist etwa Khadem Bin Abdullah Al Qubaisi, der Vorsitzende von IPIC, einem national und international sehr aktiven Investment Fond.

Obwohl ein Teil der Sektion, die ursprünglich überwiegend an der Küste lebte und später hauptsächlich der Perlenfischerei nachging, im Jahre 1830 von Abu Dhabi abtrünnig wurde und mit Sheikh Maktoum nach Dubai auswanderte, war die Stammesgruppe der Al Rumaithat (Singular: Al Rumaithi) im Laufe der Entwicklung ähnlich wichtig wie die Al Hamili im Militär und stellt aktuell mit Hamad Bin Mohamad Al Thai Al Rumaithi den Chef des Generalstabes. Seit der Regierungszeit von Sheikh Zayed bis zum heutigen Tag hat die Sektion auch wichtige Direktorenposten in der Leibgarde des Herrschers, in militärischen Geheimdienst, sowie in der Polizei inne.

Klein aber wichtig insbesondere zur Regierungszeit von Sheikh Zayed sind die vorwiegend beduinischen Al Mishagin (Einzahl: Al Masghuni), aus denen Sheikh Zayed auch eine seiner Frauen wählte und die ebenfalls in verschiedensten wichtigen Positionen, darunter auch hochrangigen Armeeposten, vertreten sind.

Eine Untergruppierung der Al Mishagin, die Al Marar sind ebenfalls sehr einflussreich. Obwohl ursprünglich angesiedelt in der Liwa, waren sie eine der ersten Sektionen der Bani Yas, die im frühen 19. Jahrhundert aus dem Landesinnern in die neue Stadt Abu Dhabi zogen. Viele verließen das Sheikhtum unter dem vormaligen Herrscher Shaksbut Bin Sultan, aber die meisten kehrten in den 1960iger Jahren zurück, und ihr Führer, Mani Bin Oteiba Al Murur wurde eine der wichtigsten Berater von Sheikh Zayed, in den frühen Jahren von dessen Regierungszeit. Seitdem sind viele aus der Sektion der Al Marar wichtige Geschäftsleute in dem Emirat geworden, einige davon sind sehr involviert sind in den großen industriellen Konglomeraten. Einer der prominentesten und unter den Bani Yas besonders geehrten Namen ist Al Oteiba. Während einige davon ausgehen, die Al Otaiba seien Hawala oder Ajam, also ursprünglich aus Persien zugezogen, gehen einige andere davon aus, dass die Al Otaiba entfernte Verwandte der Al Marar sind und damit zu den Bani Yas gehören. Für Letzteres spricht, dass Töchter der Al Oteiba verschiedentlich in die Herrscherfamilie der Al Nahyian einheirateten. Ein Al Oteiba war bereits zu Beginn des 20. Jhd. der wohlhabendste Mann in Abu Dhabi, einer Ihrer Nortablen, Mana Bin Said Al Otaibah, war Sheikh Zayeds erster politischer Berater, später Erdölminister, danach war er für viele Jahre Vorsitzender der OPEC. Aktuell bekleiden viele Mitglieder der Al Oteiba ranghöchste diplomatische, wirtschaftliche und politische Funktionen und gehören zum „inner circle“ der Nomenklatura.

Eine weitere Untergruppe der Bani Yas sind die Al Maharibah (Singular: Al Mahairbi), die, typisch für die Bani Yas, teilweise nomadisch waren, teilweise in den Oasen siedelten und teilweise auch mit eigenen Booten in der Perlenfischerei tätig waren. Einer ihrer bekanntesten Stammesangehörigen war Ali Bin Shaiban, der für einige Jahre der Wali des Herrschers auf der Insel Dalma war. Der größte Teil residiert heute jedoch in der Western Region von Abu Dhabi. Viele Al Mahairbis haben hohe Posten in der Armee, der Ölwirtschaft und der Verwaltung.

Als weitere Untergruppe der Bani Yas seien schliesslich noch die Al Bu Muhair (Singular: Al Muheiri) aufgeführt, die wegen ihrer zahlenmäßigen Größe und ihrer relativen Selbstständigkeit teilweise sogar als eigenständiger Stamm betrachtet werden (so etwa Lorimer). Nur ein kleiner Teil von ihnen lebte in Abu Dhabi- Stadt und Al Ain, der weit größere Teil in Dubai, Sharjah und anderen Küstenhäfen an der Nordküste, wo sie vor allem dem Fischfang und der Perlenfischerei nachgingen. Unter Sheikh Zayed stellten sie den Oberbefehlshaber der Marine und belegten hohe Posten im Geheimdienst und beim Militär. Aktuell halten Al Muheiris wichtige Chefposten bei ADIA, ADIC, sind im Abu Dhabi Executive Council vertreten und sind auch wirtschaftlich sehr erfolgreich, u.a. Rubaia Al Muheiri als Partner von SIEMENS in Abu Dhabi.

Die vorstehend skizzierten Untergruppen der Bani Yas hatten offensichtlich teilweise einen völlig unterschiedlichen Lebensstil, sei es als Nomaden, Dattelbauern, Perlentaucher oder Seeleute. Dennoch besaßen sie, neben ihrer großen Loyalität zu dem Scheikh von Abu Dhabi, eine Reihe von Eigentümlichkeiten und Gemeinsamkeiten, die es ermöglichten, dass aus dieser sehr heterogenen Stammeskonföderation der Kern des Nationalstaats der VAE werden konnte. Der wichtigste Grund war, dass die einzelnen Untergruppen der Bani Yas keine isolierten und separaten Existenzen führten, sondern, gerade weil oft Teile der Gruppe Nomaden waren, andere Teile in Siedlungen in den Oasen des Landes Innern oder an der Küste lebten, sie sich häufig besuchten, sich untereinander austauschten , untereinander heirateten und dadurch enge Bindungen und Beziehungen entstanden, die sich dann auch, wie im ersten Teil ausgeführt, in modifizierter Form bei der nationalstaatlichen Entwicklung fortpflanzten.

Letzteres war in gewisser Weise auch der Fall mit den anderen Stämmen, mit denen sie ihre Weidegründe teilten oder sonstigen Austausch hatten und von denen im Folgenden die wichtigsten skizziert werden sollen.

9.2 Die Al Manasir

Der zur Hinawi Richtung und der malikitischen Schule gehörende Stamm der Al Manasir (Singular: Al Mansouri) ist der zweitgrößte Stamm in Abu Dhabi nach der Stammesföderation der Bani Yas.Er ist , obwohl nicht mit allen gleichnamigen Stämmen in anderen Ländern verwandtschaftliche Beziehungen bestehen, über Abu Dhabi hinaus auch in anderen Emiraten der heutigen VAE, sowie etwa auch in Katar und dem östlichen Saudi-Arabien verbreitet. Der teils nomadische, teils sesshafte Stamm gliedert sich in fünf Hauptbestandteile, die Al Bu Rahmah, die Al Bu Mundir, die Al Bu al Sha‘ar, die Al Bu Khail und die Al Bu Hamir. Sie erkennen alle einen obersten Sheikh (Tamimah) an, der seinerseits dem Scheich der Al Bu Falah, also dem Sheikh der Al Nahyian, Loyalität zusichert. Und von einigen Ausnahmefällen abgesehen waren die Al Manasir in der Tat historisch die loyalsten Unterstützer der Al Nahyian, wobei sie sogar oft die Leibwächter für die Al Nahyian-Herrscher stellten. In nahezu allen Konflikten des 19. Jahrhunderts kämpften sie an ihrer Seite und waren auch wichtige Verbündete in dem Stammeskonflikt mit Dubai im Jahre 1940. Über Generationen gab es auch immer wieder Heiraten mit Angehörigen der Al Nahyians und anderer Bani Yas Gruppen, so dass sich auch enge gesellschaftliche Beziehungen entwickelten. Außerdem wurden sie mit wichtigen Positionen sowohl im Militär, bei der Polizei, bei ADIA, der Zentralbank, wie auch zahllosen anderen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Positionen bedacht. Eine der Frauen von Sheikh Zayed, Sheikha Mouza, kam aus der Untergruppe der Al Bu Khail. Ein Mitglied dieser Untergruppe ist auch im Abu Dhabi Executive Council vertreten, andere halten wichtige Positionen in der Wirtschaftsverwaltung und anderen staatlichen Organisationen.

9.3 Die Al Dhawahir

Nächst zu den Al Manasir, war es - ebenfalls Hinawi und malikitisch - der Stamm der Al Dhawahir (Singular: Al Dhawahiri ), der eine wichtige Säule der Unterstützung für die Al Nahyan darstellte. Obwohl es im späten 19. Jahrhundert gelegentlich Auseinandersetzungen gab, war die Loyalität der Al Dhawahir zu den Al Nahyian und den Bani Yas für die meiste Zeit über jeden Zweifel erhaben. Ihre Unterstützung spielte eine wichtige Rolle bei der Konsolidierung der Herrschaft von Scheikh Zayed Bin Khalifa über Buraimi im 19. Jahrhundert sowie beim Widerstand von Scheich Schakbut Bin Sultan gegen die Einmischung der Wahhabiten aus Saudi-Arabien im Jahre 1950. Über all die Jahre hielten die Dhawahir wichtige Positionen in der Verwaltung des Emirates Abu Dhabi inne, oft auch durch Persönlichkeiten aus zwei ihrer prominenten Untersektionen, den Al Badi ( Singular:Al Badawi) und den Al Daramikah.(Singular: Al Darmiki ) Beide Sektionen stellten auch Frauen für Scheich Zayed, die Mutter der Bani Amna und die Mutter der Bani Aicha. Quer durch sämtliche wichtigen staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisationen, einschließlich des Abu Dhabi Executive Council belegten und belegen Angehörige der Al Dhawahir, bzw. ihrer Untergruppen , die Al Badi und die Al Daramikah leitende Positionen.

9.4 „Gaststämme“ in Abu Dhabi

Der zu der Hinawi- und malikitischen Richtung angehörende Stamm der Al Awamir, ist ein großer Stamm, der sich, ursprünglich aus dem Jemen kommend, insbesondere in Zentral-Oman ausbreitete. Teile des Stammes ließen schließlich ihre Tiere auch auf den Weidegründen der Bani Yas grasen und gelobten Loyalität zu den Al Nahyians. Diese Loyalität war sehr wichtig für die Al Nahyian, insbesondere bei dem Schutz kleinerer Städte und weit entfernter Außenposten. Einige Mitglieder des Stammes kamen im Jahre 1920 in Konflikt mit den Al Manasir, einige andere schlugen sich in den Streitigkeiten des Jahres 1950 auf die Seite Saudi-Arabiens und verließen sogar Abu Dhabi. Aber diejenigen, die blieben, wurden mit wichtigen Schlüsselpositionen belohnt, insbesondere Salim bin Hamm Al Amiri war einer der einflussreichsten Berater von Scheikh Zayed, später erhielten Mitglieder des Stammes wichtige Positionen in der Armee sowie in verschiedenen wichtigen Ministerien.

Aus den zahlreichen Beduinenstämmen, die eigentlich ihre Hauptgebiete in anderen Teilen der Arabischen Halbinsel haben, von denen aber Teile sich temporär oder permanent in Abu Dhabi aufhielten wären noch zu erwähnen die Al Afar, ein hauptsächlich im jemenitischen Hadramauth ansässiger Beduinenstamm, ebenso die ebenfalls ursprünglich aus dem Hadramauth kommenden beduinischen Al Manahil, sowie die über die ganze südliche Arabische Halbinsel verstreuten ebenfalls beduinischen Al Rachid, die in der Vergangenheit oft bei Streitigkeiten Sheikh Zayed als Vermittler anriefen, insbesondere als er noch, bevor er das Herrscheramt von Abu Dhabi übernahm, der „Wali“ von Al Ain war und sich bei den Beduinen und anderen Stämmen weit über seinen „Amtsbezirk“ hinaus Sympathien und Achtung erworben hatte.

10. Stämme am Rande der „Trucial States“

Es gab eine Vielzahl von Stämmen, die nicht oder nur zu einem geringen Teil auf dem Gebiet der Trucial States siedelten oder nomadisierten und die immer wieder- ohne dass dies hier im Detail ausgeführt werden kann - wechselnde Loyalitäten zu dem erstarkten Herrscher von Abu Dhabi hatten oder zu anderen Mächten, vor allem Saudi-Arabien, das stets ein begehrliches Auge auf das Gebiet um die Oase Buraimi( Al Ain) geworfen hatte, oder zu der früheren Hauptmacht , den Al Qawasim wie auch zu dem Sultan von Oman.

10.1 Die Nai‘m

Ein wichtiger bevölkerungsreicher Stamm, von dem Teile die Küstenstädte bevölkerten und ein anderer großer Teil im Hinterland als Nomaden lebten oder in Oasen siedelten, sind die Na‘im. Sie sind Ghafiri und gehören der hanbalitischen Rechtschule an. Die Al Na’im sind wiederum unterteilt in die Al Bu Khariban, die Al Khawatir und die Al Bu Schamis, wobei letztere hauptsächlich den Beduinenanteil der Al Na’im bildeten, sich aber, wie nachstehend erörtert, inzwischen in Teilen zu einem unabhängigen Stamm erklärt haben.

Die Al Na‘im standen während des 19. Jahrhunderts in ständiger Opposition zu den Bani Yas, hauptsächlich wegen des Versuchers beider Seiten, Einfluss in der Oase Buraimi (Al Ain) zu gewinnen. Oft verbündeten sich die Al Na’im mit dem Al Qawasim und traten zu einem bestimmten Zeitpunkt sogar zum saudi-arabischen Wahhabismus über, obwohl eine Tochter des einflussreichsten Führers der Al Na‘im Sheikh Zayed Bin Khalifah „Der Grosse“ geheiratet hatte. Bis spät in die 1950ger Jahren war die Untergruppe der Al Bu Khariban immer noch nicht loyal zu den Al Nahiyan, indem sie in deren Auseinandersetzungen mit dem König von Saudi-Arabien offen Partei für letzteren ergriff.

Nichtsdestotrotz gewann eine Untergruppe der Na’im, die Al Bu Shamis (Singular: Al Shamsi) das Vertrauen der Bani Yas und erklärte sich 1970 zu einem unabhängigen Stamm. Der in Abu Dhabi ansässige Zweig der Sektion, scheint dem Wahhabismus effektiver Widerstand geleistet zu haben als der Rest der Al Na‘im und wurde dafür entsprechend belohnt. Während der Regentschaft von Sheikh Zayed hielten sie den Vorsitz im Generalsekretariat des National Council inne wie auch Positionen als Staatssekretäre in verschiedenen Ministerien und stellt gegenwärtig mit Maitha Bint Salem Al Shamsi gar eine Ministerin im föderalen Kabinett.

10.2 Bani Qitab

Der Stamm der Bani Qitab (Singular: Al Qitbi) – ebenfalls Ghaifiri und zu hanbalitischen Rechtsschule gehörend – insbesondere eine Untersektion, die Bani Huwadin, hat, obwohl anderen benachbarten Stämmen in der Region zahlenmäßig unterlegen, wegen seines großen Beduinenanteils immer eine wichtige Rolle im Hinterland gespielt. Dabei gab es etwa in den Beziehungen zu den Bani Yas ein Auf und Ab, nachdem sie in den 1920iger Jahren gegen deren Verbündete, die Al Manasir gekämpft hatten und nachdem sie sich in dem Konflikt des Jahres 1940 zwischen Abu Dhabi und Dubai auf die Seite von Dubai geschlagen hatten. Durch die Heirat Sheikh Zayeds mit Fatima bin Mubarak Al Qitbi – die in Abu Dhabi als „Mutter der Nation“ verehrt wird und dem wachsenden Einfluss ihrer sechs Söhne – der „Bani Fatima“ - darunter der Kronprinz von Abu Dhabi, Sheikh Mohamed Bin Zayed-gehören die Angehörigen des Stammes der Bani Qitab inzwischen zum festen Establishment von Abu Dhabi und insgesamt der VAE.

11. Stämme in der nördlichen Region

Das Gebiet der nördlichen Region umfasst die fünf nördlichen Emirate der heutigen VAE. Geographisch kann man dieses Gebiet - das ja vor der Staatsgründung der VAE niemals ein staatsrechtlich fixiertes Territorium hatte und wo die Effektivität der Machtausübung besonders im Hinterland von wechselnden Loyalitäten bestimmt war – unterteilen in den besiedelten Küstenstreifen mit seinen Siedlungen und Häfen, sowie das in den nördlichen Emiraten bergige Hinterland mit schwer zugänglichen Bergregionen und wasserreichen Wadis.

11.1 Das „Reich“ der Qawasim

Die nördliche Region war über lange Zeit synonym mit dem „Reich der Qawasim“ (Singular: Al Qassimi). Die Sheikhs der Qawasim sind nicht, wie die Ruling Families in anderen Abu Dhabi, Dubai oder der anderen Staaten aus einer Stammesführerschaft im eigentlichen Sinne hervorgegangen. Die Qawasim waren vielmehr ein Herrscher-Clan, dem es gelang, seine Herrschaft einem Großteil von Teilen des „Hawala-Stammes“ aufzuzwingen, der sich aus an die Persische Küste ausgewanderten arabischen Stammesgruppen, die sich mit Seefahrt beschäftigten, zusammensetzte, mit Zentren im persischen Lingah und Qishim. Ebenso aus Bevölkerungsgruppen, die dieser Tätigkeit von dem Hafen von Ras al Khaimah (früher Sulphar) aus nachgingen. Zur Sicherung ihrer Vormachtstellung waren die Qassimi-Scheikhs darauf bedacht, dass ihre Kontrolle alle Buchten und alle Häfen an der arabischen Golfküste einschloss und dass sie auch das Hinterland kontrollieren konnten. Letzteres bedingte eine Kontrolle über die vielen Stämme, die im Hinterland operierten, was allerdings nicht unbedingt eine Unterwerfung mit Gewalt bedeutete, sondern auch dadurch gelingen konnte, diese Stämme zu überzeugen, dass sie Vorteile erlangen, wenn sie die Aktivitäten der Qawasim unterstützten. Denn in dem von den Qawasim kontrollierten Häfen konnten sie ja auch Waren verkaufen und Waren für ihren täglichen Bedarf einkaufen. Die Qawasim hatten mächtige Gegner, vor allem den Sultan von Oman in Bezug auf die Landzunge des Musandam, zeitweise die Perser und die Osmanen und schließlich Großbritannien, das in den maritimen Aktivitäten der Qawasim eine Beeinträchtigung seiner eigenen Ambitionen am Persischen Golf und eine Bedrohung des Handelsweges nach Indien sah. Grossbritannien war es auch, das schließlich Anfang des 19. Jahrhunderts, mit dem Anspruch, die „Piratenküste“ zu befrieden, die Herrschaft der Qawasim durch die Entsendung britischer Kanonenboote brach. Damit war auch die „Rangfolge“ innerhalb der Sheikhtümer an der Trucial Coast zu Gunsten des Sheikhs von Abu Dhabi verschoben, was sich dann spätestens in der Verfassung der VAE, wo die staatlichen Spitzenpositionen den Sheikhs von Abu Dhabi und Dubai zugewiesen sind, klar widerspiegelt. Immerhin aber stellen die Al Qawasim – inzwischen allerdings in zwei Clans geschieden - noch in zwei Emiraten der VAE, Al Shariqa (Sharjah) und Ras Al Khaimah, die jeweilige Herrscherfamilie.

11.2 Die Sharqiyin

Die Sharqiyin (Singular: Al Sharqi), nach den Bani Yas der zweitgrößte Stamm in den Trucial States stellten über mehrere Jahrhunderte die Mehrheitsbevölkerung des östlichen Teils der nördlichen Landspitze in Shamaliya, das Gebiet zwischen Dibah und der Grenze zu Oman, mit dem Zentrum in Al Fujeirah. Bereits 1879 wurden die Sharqiyin, nachdem sie bereits seit langem immer wieder versucht hatten, sich aus der Herrschaft des Qassimi-Herrschers von Sharjah herauszulösen, unter der Führung von Hamad Bin Abdullah, des Führers der Hufeifat – einer Untersektion der Sharqiyin - zu einem unabhängig regierten Scheichtum. Doch dieses erlangte erst im Jahre 1952 die Anerkennung seitens Großbritanniens, hauptsächlich um mit dem nunmehrigen Herrscher aus der Herrscherfamilie der Al Sharqi über Ölkonzessionen verhandeln zu können.

11.3 Die Al Za‘ab

Der Stamm der Bani Zaab (Singular: Al Zaabi), gehört der Hinawi - Richtung an, obwohl er sich zur hanbalitischen Schule bekennt - eine ungewöhnliche Kombination. Hauptsitz des Stammes der Za‘ab war die Halbinsel von Jezirat Al Hamra, ein anderer Teil siedelte an der Ostküste in Kalba. Ein Zwist mit dem Qassimi-Herrscher von Ras al Khaimah veranlasste im Jahre 1968 einen Großteil des in Jezirah Al Hamra wohnenden Stammesteils dazu, eine Einladung von Sheikh Zayed zum Umzug nach Abu Dhabi anzunehmen, der dadurch die lokale Bevölkerung von Abu Dhabi vergrössern wollte. Da die Loyalität der Al Zaab zu den Al Nahyian nie in Frage gestellt war, wurden viele Stammesangehörige der Al Za’ab mit einflussreichen Positionen bedacht, insbesondere im diplomatischen Dienst, verschiedenen Ministerien, sowie staatlichen Firmen und Wirtschaftsorganisationen.

11.4 Die Al `Ali

Nahezu die gesamte Bevölkerung des kleinen Emirates Umm Al Quwain, einschließlich des Herrscherhauses, der Al Mu‘alla, besteht aus Angehörigen des Stammes der Al Ali, die sich früher vor allem mit der Perlenfischerei betätigten. Ein kleiner Teil besiedelt eine Oase im Binnenland, Falaj Al Ali, die der Herrscherfamilie gehört. Der Stamm ist geschichtlich liiert mit einem gleichnamigen arabischen Stamm, der im persischen Distrikt von Shibkuh residierte.

11.5 Die Shihuh

Während alle oben skizzierten Stämme der nördlichen Region – kleinere Stämme wie die Tannaij, die Naqbiyin und die Ghafalah werden hier nicht näher behandelt- früher alle mehr oder weniger unter der Herrschaft der Qawasim standen, gab es außerhalb deren Region, insbesondere in den nördlichen Bergregionen zahllose weitere kleinere Einheiten. Ob es sich dabei um selbständige Stämme, oder isolierte Untergruppen von Stämmen aus anderen Regionen handelt, sei der wissenschaftlichen Betrachtung überlassen.

Als wichtiger Stamm zu erwähnen sind allerdings die Shihuh (Singular: Al Shahi), welche in dem unzugänglichen und unwirtlichen, teils auf 2000 Meter ansteigende und meist wieder steil zum Meer abfallenden Gebirge im Norden beheimatet sind. Sie unterscheiden sich in wirtschaftlicher, kultureller und auch sprachlicher Hinsicht wesentlich von den anderen Stämmen des Umlandes. Heute nimmt man an, dass die Shihuh ein gemischter Stamm mit arabischem Ursprung und zusätzlichen persischen Elementen sind. Die Shihuh unterteilen sich in weitere Untergliederungen, die Bani Hatiyah und die Bani Shatair, deren wichtigste weitere Untergliederungen die Kumzarah und Habus sind. Geographisch bedingt sind die einzelnen Stammesteile unabhängiger voneinander als dies bei den anderen Stämmen der Fall ist. In wirtschaftlicher Hinsicht gingen sie saisonalen Tätigkeiten in Dattelgärten an der Küste oder, der rauhen Natur abgerungener, Landwirtschaft in den Bergen nach. Politisch lebten die Shihuh, die der Hinawi-Fraktion angehören, die längste Zeit unter der Herrschaft des Sultan von Oman und erkannten sogar einmal die Oberhoheit des Herrschers von Abu Dhabi an, da sie die Herrschaft der Ghafiri-Qawasim vehement ablehnten. Dennoch lebt ein kleiner Teil der Shihuh in Ras Al Khaimah, Sharjah oder Al Fujeirah. Angehörige der Shihuh sind heute auch – wie etwa der 1.Staatssekretär im föderalen Wirtschaftsministerium, Abdelaziz Mohamed Al Shahi, in staatlichen Führungspositionen vertreten.

Gemeinsam - und nicht viel unterschiedlich von den Shihuh - leben in den nördlichen Gebieten auch die Angehörigen des eigenständigen Stammes der Dhahuriyun, die Affinitäten zu dem Stamm der Dhawahir haben.

12. Zusammenfassung:

Die beispielhafte Aufzählung von Persönlichkeiten, die hohe Positionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in den VAE im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte belegen konnten oder aktuell noch belegen, zeigt, dass die Zugehörigkeit zu einem der traditionellen Stämme nach wie vor eine Schlüsselrolle für das Fortkommen oder den gesellschaftlichen Status hat. Seit eh und je und auch noch heute ist es so, dass die wichtigsten Stammesfamilien in Abu Dhabi und den anderen Golfstaaten diejenigen sind, die aus dem Stamm der Bani Yas stammen, besonders solche, die früher an der Seite der Al Nahyan Familie kämpften, und weniger die, die in früheren Zeiten rebelliert hatten oder gar ausgewandert waren, wie etwa die Al Bu Falasa, aus denen allerdings die heutige Herrscherfamilie von Dubai‘, die Al Maktoum stammt.

Neben den Sektionen der Bani Yas stehen die Stämme, die historisch an den originalen Gebieten der Al Nahyan in den Oasen der Liwa (heute besser bekannt als das Gebiet um Sheikh Zayed City) und Buraimi (heute besser bekannt als Al Ain) siedelten. Und dabei insbesondere solche, wie die Al Manasir und die Al Dhawahir, die denselben Hinawi - Richtungen sowie gleichzeitig der malikitischen Schule des sunnitischen Islam angehörten, wie die Bani Yas.

Umgekehrt sind die Stämme der rivalisierenden Ghafiri- Richtungen der hanbalitischen Schule oder diejenigen, die sich in früheren Zeiten dem Wahhabismus zugewandt hatten, oder gar den Einfluss der expansionistischen Saudis akzeptiert hatten bzw. die sonstigen Allianzen gegen die Al-Nahyan beigetreten waren, oft auch noch heute im zeitgenössischen Establishment unterrepräsentiert, selbst wenn die früheren Streitigkeiten schon seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten abgeschlossen sind.

Es erschließt sich jemandem, der von außen auf die Gesellschaft der VAE blickt, nicht leicht, wie stark die traditionellen Historien und Hierarchien wirklich noch durchschlagen und dominieren. Fraglos haben die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte wichtige neue Einflüsse mit sich gebracht, sind auch außerhalb der drei traditionellen „In-Gruppen“ - Herrscherfamilie, Stammesfamilie und traditionelle Kaufmannsfamilien- neue Gruppierungen und Schichten entstanden, haben auch Fachleute und Experten außerhalb dieser Gruppen ebenfalls ein Sagen, hat , wie in jeder Gesellschaft, die junge Generation andere Vorstellungen wie „die Alten“ und hat sich nicht zuletzt auch so etwas wie ein „Emiratisches“ Nationalgefühl entwickelt, das seinen Platz neben der Verbundenheit zu traditionellen Stammesstrukturen behaupten kann.

Doch trotz der drastischen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Änderungen seit dem Beginn des Ölzeitalters blieben viele Aspekte der traditionellen stammesmäßigen Organisation erhalten. Man braucht nur einmal in den arabischen Tageszeitungen die ausführlichen täglichen Bilderberichte zu den Hochzeiten anzuschauen, um festzustellen, dass sich bei der Vermählung junger Leute etwa die Bedeutung der männlichen Abstammungslinie keineswegs geändert hat. Nach wie vor an oberster Stelle der gesellschaftlichen Werte steht die Familiensolidarität, verstärkt durch die stammesmäßige Linie sowie, daraus abgeleitet, ein Sippschaftssystem, welches kollektive Rechte und Pflichten beinhaltet und in dem Scham und Ehre sowie die Regeln der Gastfreundschaft immer noch einen überragenden Stellenwert besitzen. Trotz einer gegenüber früheren Zeiten inzwischen bestehenden beträchtlichen Unabhängigkeit, bleiben Mitglieder ausgedehnter Familien und Stämme eng verknüpft durch Bande wechselseitiger Verpflichtungen und Unterstützung, die oft auch in politische Allianzen und gemeinsame wirtschaftliche Unternehmungen übersetzt werden.

Schaut man sich die gegenwärtigen Zustände in anderen Teilen der arabischen Welt an, so scheint dies nicht das schlechteste Modell für die Zukunft zu sein.


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