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Russlands Nahostpolitik neu justiert


Selbst wenn man etwas zurückhaltender ist als der indische Ex-Diplomat und Nahostexperte Bahmanpour, der den Besuch des stellvertretenden saudischen Kronprinzen Mohamed Bin Salman Al Saud in Moskau Mitte Juni in seiner geschichtlichen Bedeutung mit dem geheimnisumwitterten schicksalhaften Besuch des damaligen US-Außenministers Henry Kissinger in China verglich, so steht doch fest, dass dieser Besuch und seine Ergebnisse durchaus als ein bedeutungsvolles Ereignis in der Geschichte der bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern und darüber hinaus in der Entwicklung des politischen Spektrums im Nahen und Mittleren Osten bezeichnet werden kann.

Dabei standen die wirtschaftlichen Ergebnisse, so beeindruckend sie waren, nicht einmal im Vordergrund. Immerhin wurden, ohne bisher dass Einzelheiten bisher verkündet werden, sechs Vereinbarungen über Großprojekte paraphiert, u.a. dem Vernehmen nach ein Vertrag über russische Technologie im Bereich der Kernenergie sowie auch Vereinbarungen über Waffenlieferungen in erheblicher Größenordnung. Und der er der große und immer noch mächtige Mann in der saudischen Erdölindustrie, Erdölminister Naimi, der Prinz Mohamed nach Moskau begleitete, sprach von einer neuen beginnenden „Öl-Allianz“ zwischen den beiden Ländern und zeigte sich dabei optimistisch, dass der Ölpreis sich bald wieder auf höherem Niveau stabilisieren werde.

Es waren primär die politischen Umstände, die diesem Besuch eine immense Bedeutung verliehen und natürlich auch den wirtschaftlichen Parametern zugrunde liegen.

König Salman von Saudi-Arabien hat seinen Lieblingssohn Mohamed als seinen persönlichen Gesandten geschickt, um Präsident Putin zu treffen. Diese Wahl zu einem bedeutsamen Zeitpunkt in der Geschichte des Königreiches ist reichlich symbolisch. Denn Prinz Mohamed wird , trotz seines noch jungen Alters bereits jetzt auch als eine einflussreiche Figur bei der Steuerung der saudischen Außen- und Sicherheitspolitik in eine radikal neue Richtung angesehen , zu einer Zeit, in der das Königreich dabei ist, aus einer sieben Jahrzehnte dauernden Allianz mit Amerika auszubrechen.

Was ist der Hintergrund für diesen saudischen Politikwechsel? Die Antwort lautet kurz und bündig: Iran. Die Annäherung der USA an Iran hat Saudi-Arabien komplett in Aufregung versetzt. Dabei mag man als Beobachter die saudischen Befürchtungen und Sorgen für gerechtfertigt und legitim halten oder nicht. Aber diese Befürchtungen und Sorgen bestehen und ihr Gewicht ist nicht zu bestreiten.

Saudi-Arabien betrachtet den bevorstehenden nuklearen Deal ich der P5+1 mit Iran als Beginn einer neuen Ära im Nahen Osten, der unterlagert ist durch eine viel weitergehende Entspannung zwischen Washington und Teheran mit Auswirkungen auf die ganze Region. Die Saudis versuchten vehement, Washington von einer Vertiefung seiner Beziehungen mit Iran abzuhalten und sie haben alles versucht, auch mit viel Geld, das Washingtoner Establishment von ihrer Linie zu überzeugen. Aber es hat nichts genützt.

Es hat nichts genützt, in erster Linie, weil die Interessen der USA und Saudi-Arabien bezüglich der sich vertiefenden Krise im Nahen Osten nicht Hand in Hand gehen. Es gibt unterschiedliche Prioritäten, wobei noch hinzukommt, dass die Führung der USA das Gefühl hat, dass sie ihren „pivot to Asia“, die Verlagerung ihrer strategischen Hauptinteressen in den asiatisch-pazifischen Raum, das zukünftigen Zentrum der Weltpolitik, auch einmal nach außen unterstreichen muss.

Schließlich hat auch die Schiefergas- Revolution die Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von Öl aus dem Nahen und Mittleren Osten reduziert , ja es ist sogar bereits eine Art von Konkurrenz entstanden, dies vor dem Hintergrund , dass sich USA in absehbarer Zukunft als führender Energieexporteur, also als das „neue Saudi-Arabien“ sehen.

Die Saudis realisieren auch, dass die Vereinigten Staaten nicht länger willens (oder in der Lage) sind, die autoritären Regime am Persischen Golf zu stützen, sondern stattdessen versucht sein könnten, sich auf die „richtige Seite der Geschichte“ zu stellen und einen ordentlichen der Übergang von Autokratie zu einer demokratischen Transformation anstreben bzw. unterstützen als Voraussetzung für eine anhaltende und langfristige Sicherheit und Stabilität in der Region und um dadurch den Aufstieg von extremistischen Gruppen zu verhindern, die eine Bedrohung für die Sicherheit des Westens darstellen könnten. So spüren bzw. befürchten die Saudis, dass die beinharte Zusage, vorbehaltlose Unterstützung des Regimes gegen Zugang zu den Ölquellen, wie es vor 70 Jahren zwischen dem damaligen Präsidenten Roosevelt und Könige Abdelaziz Ibn Saud, vereinbart wurde, so nicht mehr besteht.

Und so vertieft , auf den Punkt gebracht, der Wiederaufstieg Irans zu einer Regionalmacht die saudische Angst. Saudi-Arabien fühlte sich immer schon bedroht durch die Tatsache, dass die islamische Revolution von 1979 antimonarchisch war wenn schon unbedingt eine Herrschaft des Volkes , so doch zumindest auf Prinzipien der Repräsentation der Bevölkerung beruht, was eine Antithese ist zu allem, was das Haus Saud repräsentiert.

Außerdem, so die Befürchtung,, kann die Ausweitung der Macht der Schiiten in der Region (Libanon, Irak, Jemen, Parteien etc.) nicht spurlos an der von Schiiten dominierten ölreichen Ostprovinz Saudi-Arabiens und auch nicht am verbündeten Nachbarland Bahrain, wo die Bevölkerungsmehrheit Schiiten sind, vorübergehen.

Iran stellt also aus saudischer Sicht ohnehin eine existenzielle Herausforderung für das Königreich dar und die Annäherung zwischen den USA und Iran macht diese Herausforderung noch bedrohlicher. Die saudische Antwort hätte sein können, eine vereinigte Arabische Front aufzubauen um den Herausforderungen des Iran zu begegnen, aber mit der Absetzung von Hosny Mubarak, sieht man Ägypten nur noch ein Schatten seiner selbst an, welches genug damit zu tun hat, seine internen Probleme und eventuell die seines westlichen Nachbarlandes Libyen zu lösen. Und auch die übrigen Staaten des Kooperationsrates sind nicht unbedingt alle politisch bzw. militärisch optimale Bündnispartner; aber einige von ihnen haben ihre eigenen unabhängigen Beziehungen mit Teheran und lehnten im Übrigen stets eine saudische Oberherrschaft über sie ab.

Auf der Suche nach einem externen Verbündeten kann man auch Israel ausklammern, obwohl Riad und Tel Aviv durchaus gemeinsame Besorgnisse über den Aufstieg Irans und die rasche Transformation der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Iran haben. Israel, das weitgehend isoliert in der Region, wäre möglicherweise durchaus bereit, aber trotz aller dramatischen Veränderungen in der Region kann es niemals eine offene Allianz zwischen Saudi-Arabien und Israel geben, denn dies würde unvermeidlich zu einem arabischen Volksaufstand gegen das Haus Saud führen.

So kamen die Saudis wohl zu dem Schluss dass die beste Lösung im Norden liegt, nämlich in Russland. Viele Saudis gehen davon aus, dass die Spannungen zwischen Russland und den USA Moskau ermutigen werden, die Hand über eines früheren prioritären Verbündeten der USA in den gegebenen Umständen zu ergreifen.

Was sind die Interessen Russlands?

Klar ist, dass die russische Wirtschaft unter den westlichen Sanktionen leidet und Saudi-Arabien kann eine Lebenslinie öffnen kann, indem es Waffen oder High-Tech Produkte wie etwa Atomkraftwerke von Russland kauft.

Weiterhin ist Russland, obwohl es kein Mitglied der OPEC ist, erheblich daran interessiert, einen übergreifenden Interessenausgleich mit Saudi Arabien als dem weltgrößten Ölproduzenten zu erreichen, zu einem Zeitpunkt, in dem Iran dabei ist, die Welt mit Erdöl zu fluten, sobald die Sanktionen aufgehoben sind.

In der Tat wird auch Moskau mit gemischten Gefühlen die Entspannung zwischen den Vereinigten Staaten und Iran betrachten. Aus russischer Sicht besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Iran vor dem Hintergrund seines akuten Bedarfs an Technologie und wirtschaftlichen Aufschwung eine enge Integration mit dem Westen anstreben wird. Solche Annahmen bestehen nicht ohne Grund, betrachtet man das Vorhandensein einer großen „pro- westlichen“ Fraktion unter den iranischen Eliten.

Ohne Zweifel haben die Russen allen Grund, nervös sein, was die Entwicklung der Machtbalance im Nahen Osten nach einer Verbesserung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und ihrer anbelangt. Die Vereinigten Staaten verweigern nicht länger die Teilnahme Irans an den von den Vereinten Nationen unterstützten Prozess in Genf, was die Zukunft Syriens anbelangt. Australien hat die Einbeziehung Irans in die von den USA gesponserte Kontaktgruppe verlangt, die gebildet wurde, um zu überlegen, wie man den Krieg gegen den Islamischen Staat ( IS) führen sollte. Die USA und Iran koordinieren insgeheim ihre militärischen Kampagnen gegen den IS in Irak und sind auch in Konsultationen, was den Konflikt im Jemen anbetrifft. Und sie sind auf jeden Fall auf derselben Seite wie Iran, was die Stärkung der Schiiten in Bahrain anbetrifft.

Aber auch Russland hat nicht stillgestanden sondern in letzter Zeit wichtige Schachzüge ausgeführt, um sich in Nahen und Mittleren Osten neu und besser zu positionieren. So hat es große Anstrengungen unternommen, um seine Beziehungen mit Ägypten auf eine neue Grundlage stellen. Es hält enge Verbindungen mit der israelischen Führung und den politischen Eliten in Israel. Es umwirbt die Türkei.

Beim Besuch von Prinz Mohammad ließ sich Putin zitieren, dass er den Beziehungen mit Saudi-Arabien sehr große Bedeutung beimisst. Er erneuerte eine Einladung an König Salman Russland zu besuchen und nahm gleichzeitig – da dieser nicht gerne ins Ausland reist - eine von Prinz Mohamed überbrachte offizielle Einladung zum Besuch von Saudi-Arabien an.

Wie soll man also die Tatsache und die Ergebnisse dieses Besuches einschätzen?

Neu gegenüber früher ist, dass es nicht meh , wie zu Zeiten des kalten Krieges, um Ideologie geht. Sowohl die USA als auch Russland erfolgen lediglich ihre eigenen Interessen in einem Machtkampf, wo es nicht unbedingt einen Sieger gibt, sondern die Erreichung einer Balance auf Augenhöhe ausreichen kann. Aller Wahrscheinlichkeit wird Russland deshalb die Wahl treffen, nett zu sein sowohl zu Iran wie auch zu Saudi-Arabien. Das mag auch der beste Weg sein. Denn es liegt in Russlands Interesse, wirtschaftliche und politische Bande auch mit dem Iran, aufrechtzuerhalten.

Solche engen Bande sind gleichzeitig auch ein Stabilitätsfaktor für die nähere und weitere Region, bis nach Zentralasien.

Sie schaffen auch Raum, um mit den Vereinigten Staaten auf Augenhöhe zu verhandeln.

Auch ist Russlands Syrienpolitik ohne Iran nicht durchzuhalten.

Russland hat auch kein Interesse daran, mit dem Iran auf dem europäischen Energiemarkt in Wettbewerb zu treten, etwas, was die EU und die Vereinigten Staaten durchaus anstreben.

Schließlich ist Iran ein Nachbarland von Russland und dessen Hinwendung zu dem Westen hat daher Auswirkungen auf seine grundlegenden Interessen. Die Chronik des anglo-russischen „Great Game“ in Persien im letzten Jahrhundert ist dafür ein geschichtlicher Zeuge.

Auf der anderen Seite öffnet die Entfremdung zwischen den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien für Russland ein einzigartiges „window of opportunity“ , seine diplomatischen wirtschaftlichen Interessen vertreten

Schließlich könnte Russland auch im Kontext der Erosion der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien seinen Einfluss in einer der wichtigsten Regionen des Nahen Ostens, in den Territorien der Staaten des Golfkooperationsrates ausbauen, ein Gebiet, das bisher in der modernen Geschichte die ausschließliche Spielwiese von westlichen Mächten war.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass die Diversifikation von Russlands Nahost Politik zu einem außerordentlichen Spektrum von freundlichen Beziehungen zu Israel, der Türkei, Syrien, Irak, Iran, Ägypten und den Staat des Golfkooperationsrates führen könnte, eine Perspektive, um die wiederum die andere Großmacht Russland durchaus beneiden könnte.


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