top of page

"Arabischer Frühling" und Wirtschaftsrecht


Die MENA Region war - wegen ihrer politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Besonderheiten - noch nie ein einfaches Spielfeld für ausländische Unternehmen, insbesondere nicht für kleine und mittelständische Unternehmen. Nichtsdestotrotz konnten sie sie im Großen und Ganzen in einem relativ stabilen Umfeld arbeiten, in dem ein Insider in der Lage war, einigermaßen richtig und sicher zu navigieren. All dies hat sich geändert, seit die Ereignisse in Tunis und Ägypten im Jahre 2011 einen Prozess entfachten, der autokratische Staatsoberhäupter zu Fall brachte (Tunesien, Ägypten, Libyen, Jemen), Bürgerkriege ausbrechen ließ (Libyen, Syrien, Jemen), sogar bestehende geographische Staatsgrenzen zur Disposition stellt (Syrien, Libyen, Irak ) und perspektivisch sogar neue Staaten (Kurdistan) wie auch Quasi-Staaten (Islamischer Staat im Gebiet von Syrien und Irak, oder von „Warlords“ und von Milizionären kontrollierte Gebiete, etc.) hervorbringen könnte.

Angesichts der täglichen aktuellen Nachrichten und Bilder aus dem Nahen und Mittleren Osten, die –zumindest in dem von Bürgerkriegen und terroristischen Aktionen heimgesuchten Ländern - an Zerstörungswut und Brutalität kaum noch zu überbieten sind, mag es einem Nichtjuristen lebensfremd, absurd oder zumindest zynisch vorkommen, diese Ereignisse und Fakten unter juristischen Aspekten zu betrachten und zu untersuchen. Allenfalls erscheint noch – angesichts des Ausmaßes der politischen und militärischen Einmischung von externen Akteuren oder des Grades der Menschenrechtsverletzungen sowie der Flüchtlingsproblematik - eine Betrachtung und Beurteilung dieser Ereignisse unter dem Blickwinkel des allgemeinen Völkerrechts sinnvoll und angebracht.

Und dennoch ergeben sich aus diesen Ereignissen durchaus auch wichtige Fragen und Probleme des Wirtschaftsrechts, die für den, der in der MENA-Region Geschäfte macht oder machen will, unmittelbare praktische Bedeutung haben.

Im nachfolgenden Artikel soll dies beispielhaft an Hand von drei Rechtskomplexen kursiv und selektiv näher beleuchtet werden.

Einmal am Beispiel des Investitionsschutzes, wenn also ein ausländischer Investor infolge politischer Veränderungen in einem Land seine Investition beeinträchtigt sieht und von diesem „Gaststaat“ entsprechend kompensiert werden will.

Weiterhin bei Geschäften in oder mit „zerfallenden Staaten“ (Failing States), also Staaten, wo die Staatsgewalt in einem Ausmaß erodiert ist, dass der Staat seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen kann.

Schließlich am Thema „Höhere Gewalt“ (Force Majeure), wenn also eine Vertragserfüllung auch unter privaten Parteien durch politische oder militärische Ereignisse unmöglich oder zumindest so erschwert wird, dass eine Vertragserfüllung faktisch oder wirtschaftlich nicht sinnvoll und nicht zumutbar erscheint.

Die politischen Ereignisse im Nahen und Mittleren Osten im Rahmen des „Arabischen Frühlings“ bieten für alle diese Rechtsthemen genügend Anschauungsmaterial .

Zumindest für einige dieser Themen lassen sich auch rechtliche Lösungen aufzeigen, durch die sich entsprechende Geschäftsrisiken in einem halbwegs kontrollierbaren Rahmen halten und mögliche Fallstricke im Voraus berücksichtigen lassen.

Investitionsschutz und Investitionsschiedsgerichtsbarkeit

Investitionsschutz ist ein wichtiger Aspekt im internationalen Geschäft, insbesondere in Zeiten des politischen Wandels. Bereits lange vor der „Arabellion“ war der Nahe und Mittlere Osten schon ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit nach Investitionsschutz, insbesondere im Zusammenhang mit den verschiedenen Varianten des arabischen Nationalismus, dem Nasserismus in Ägypten, dem Baathismus in Irak und Syrien, dem arabischem Sozialismus in Jemen oder der „Volks-Jumhuriya“ im Libyen Muammar Al Ghaddafis, aber auch die Nationalisierung der Ölwirtschaft in nahezu allen ölproduzierenden Länder. In vielen dieser Fälle, kamen ausländische Investoren ins Zielfeuer entsprechender Maßnahmen seitens der jeweiligen Regierung und sahen sich der Früchte ihrer Investition beraubt oder sahen diese zumindest erheblich beeinträchtigt.

Im Zuge der in den meisten Ländern der arabischen Welt seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts favorisierten Politik der „ Öffnung“ und Privatisierung wurden auch ausländische Investoren angeworben und ermuntert, in den verschiedensten Wirtschaftssektoren wie etwa Tourismus, Energie, Bauwirtschaft, Elektrizitätswirtschaft, Schifffahrt, Petrochemie oder Telekommunikation zu investieren. Hierfür wurde auch weitgehend das Handels-und Wirtschaftsrecht liberalisiert und wurden spezielle Investitionsanreize geschaffen, die ausländische Investoren ermuntern sollten, in diesen Ländern mit einem doch unterschiedlichen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen ,religiösen und kulturellen System Investitionen zu tätigen.

Generell – und das gilt natürlich auch für die arabischen Länder - ist für ausländische Investoren wichtig, dass der Rechtsrahmen in dem Gastland, indem die Investitionen getätigt werden soll, sicher, stabil, transparent und voraussehbar ist, so dass sie auf dieser Grundlage auch die Früchte ihrer Investition ernten können. Sie erwarten, dass der Gaststaat sie fair, ohne Diskriminierung und entsprechend der „Rule of Law“ behandelt. Dies schließt den Schutz durch die polizeilichen und gegebenenfalls militärischen Organe des Gaststaates ein.

In den letzten Jahrzehnten haben sich bilaterale Investitionsschutzabkommen (Bilateral Investment Treaties sog. BIT‘s) als wirksame Instrumente des Investitionsschutzes für ausländische Investoren herausgebildet und bewährt. Ein BIT ist eine Vereinbarung zwischen zwei Staaten. Es schützt die Rechte von privaten Bürgern des einen Vertragsstaates, die in dem anderen Vertragsstaat investieren. Der Vorteil eines BIT besteht darin, dass es einen hohen Grad von Schutz anerkennt, der auf Prinzipien des internationalen Rechtes beruht. Ein Wechsel in der Regierung mag dazu führen, dass bestehende Verträge revidiert oder gar annulliert werden, die von der früheren Regierung geschlossen wurden. Rechtsauffassungen oder Praktiken können sich abrupt ändern ohne vorherige Warnung und ohne Intention, für diese Änderungen Schadensersatz zu leisten. Sogar Privatisierungen mögen noch Jahre nach ihrer ursprünglichen Implementierung zurückgenommen werden. Doch nicht nur Änderungen und Neuerungen auf der Ebene der Regierung oder des Staates können eine Notwendigkeit für einen effizienten Investitionsschutz begründen. Auch die Störung der Infrastruktur, des Transportes oder der Versorgungslinien oder innere Unruhen, Demonstrationen, oder andere Boykottmaßnahmen durch eine lokale Arbeiterschaft oder eine aufgebrachte Bevölkerung können die ordnungsgemäße Durchführung eines Vertrages oder die ungehinderte Implementierung eines Investitionsprojektes behindern oder unmöglich machen .

Hier vermag nun das BIT effektiv einzugreifen. Es erlaubt typischerweise dem Investor, eine Klage gegen den Gaststaat direkt vor einem Schiedsgericht zu bringen, anstatt sich auf die nationalen Gerichte des Gaststaates beschränken zu müssen. Für den Gaststaat wiederum liegt der Vorteil eines BIT darin, dass es ihn attraktiv macht für ausländische Investitionen, nimmt es doch dem Investor die Furcht, dass er im Streitfalle sich an die lokalen Gerichte wenden muss, sondern seine Forderungen vor ein neutrales, mit in der Regel hochrangigen und angesehenen Juristen besetztes Gremium bringen kann, dessen Schiedsurteile dann auch für die andere Partei, also den beklagten Staat, bindend sind.

Die wichtigste und weit verbreitetste dieser internationalen Schiedsstellen beruht auf der „Internationalen Konvention über die Regelung von Investition Streitigkeiten“ (ICSID), auf deren Grundlage bei der Weltbank ein institutioneller und verfahrensrechtlicher Rahmen für ein entsprechendes Schiedsgericht eingerichtet ist. Eine Besonderheit der „ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit“ gegenüber anderen institutionellen Schiedsgerichten, wie etwa dem Schiedsgericht bei der Internationalen Handelskammer (ICC) in Paris oder von privaten ad-hoc Schiedsgerichten - oft nehmen diese die Regeln der UNCITRAL als verfahrensmäßige Grundlage - besteht darin, dass viele dieser ICSID-Schiedssprüche veröffentlicht werden. Damit trifft der Vorwurf, den viele – etwa im Zusammenhang mit dem gerade zwischen der EU und den USA verhandelten TTIP - machen, dass nämlich die internationale Handels-und Investitionsschiedsgerichtsbarkeit eine Art intransparente, im Geheimen verhandelte private Nebengerichtsbarkeit zur Umgehung der nationalen staatlichen sei, im Falle von ICSID nicht zu.

Generell kann man konstatieren, dass viele Investitionen von Unternehmen aus westlichen Staaten in Länder der „Dritten Welt“ nicht getätigt worden wären, gäbe es nicht die Rechtsschutzmöglichkeiten vor internationalen Schiedsgerichten, von denen ICSID , auch weil die meisten BIT’s auf ICSID verweisen, inzwischen das weitaus Wichtigste ist.

Alle MENA Staaten, auch die von dem „Arabischen Frühling“ erfassten, haben solche BIT‘s mit den verschiedensten Staaten abgeschlossen. Ägypten z.B. ist Partei von über 100 BIT’s. Tunesien, Syrien, Libyen und Jemen haben zusammen genommen auch etwa 100 BIT’s unterzeichnet und ratifiziert, ebenso die arabischen Golfstaaten.

Gleich nach dem „Ausbruch“ des Arabischen Frühlings vor fünf Jahren haben Juristen und Analysten die Frage diskutiert, wie sich diese Ereignisse auf Investitionen in der MENA-Region auswirken werden und welche Fallkonstellationen wohl als erste vor einem ICSID-Schiedsgericht landen werden. Und in der Tat sind bereits einige Fälle, die ihre Ursache in Ereignissen des „Arabischen Frühlings“ haben, bei ICSID anhängig.

Die Sachverhalte einiger dieser Verfahren spielen im nachrevolutionären Ägypten, einem Land, das seit 2011 gleich zwei Revolutionen erlebt hat. Die erste Revolution beinhaltete den Sturz des langjährigen früheren Präsidenten Mubarak. Es folgte zwei Jahre später die Absetzung seines Nachfolgers Mohammed Morsi durch den Chef des Generalsstabes und heutigen Präsidenten Abdel Fatah As-Sisi, der ,obwohl er in der Zwischenzeit durch eine Wahl in seiner Präsidentschaft ist bestätigt wurde, seine extensive Macht hauptsächlich auf die ägyptische Armee stützt.

Einige der gegen den ägyptischen Staat vor einem ICSID-Schiedsgericht seitens Investoren vorgebrachten Klagen wurden bereits entschieden, andere werden immer noch verhandelt.

Einige dieser Fälle berühren und vertiefen wichtige Themen und Grundsätze der internationalen Investitionsschutzschiedsgerichtsbarkeit, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt und ausgeformt hat.

Unrechtmäßigen Enteignung“ ist ein wichtiges Thema in zahlreichen solcher Fälle.

Dabei geht es darum, ob ein Investors ich gegen Maßnahmen wehren kann, die von der neuen nach- revolutionären Regierung erlassen wurden und durch die bestimmte Investitionsprojekte, die noch unter der Herrschaft der früheren Regierung getätigt wurden, nunmehr gestoppt oder gar annulliert werden. Der Kern des Problems liegt in diesen Fällen in dem Spannungsverhältnis zwischen der Rechtssicherheit für den ausländischen Investor durch bilaterale Investmentverträge einerseits und den Reformmaßnahmen, die durch die neue Regierung nach der Revolution ergriffen werden andererseits. Der Investor erwartet Kontinuität und Profit für seine Investition, die neue Regierung beansprucht politische Entscheidungsfreiheit und Reformmöglichkeiten nach dem Umbruch.

Ein solcher Fall, der vor ein ICSID-Schiedsgericht kam, behandelt einen politisch sehr sensitiven Abschluss eines Vertrages mit Israel über Gaslieferungen, der noch mit einem privaten Konsortium unter der Herrschaft der alten Mubarak Regierung abgeschlossen wurde. Die neue ägyptische Regierung widerrief den Vertrag, da sie der Auffassung war, dass der Gaspreis, der in dem Vertrag festgelegt wurde, weitaus zu niedrig angesetzt war und dadurch dem ägyptischen Staat ein großer Schaden entstanden sei. Für den Investor stellt sich diese Vertragswiderrufung als eine unrechtmäßige Enteignung auf Grundlage des geltenden BIT als auch entsprechend der ICSID –Konvention dar.

In einem anderen Fall geht es um die Klage eines indonesischen Investors, der beanstandet, dass ein ägyptisches Gericht den Erwerb einer Textilfabrik durch den Investor im Rahmen eines Privatisierungsprojektes annulliert hatte. Nach Auffassung des ägyptische Gerichts war diese Privatisierung nämlich illegal, da die Anteile des Staatsunternehmens für einen angeblich politisch motivierten billigen Preis an Gefolgsleute des früheren Präsidenten Hosni Mubarak gegangen seien.

Ein weiterer Fall behandelt einen Kauf von Land durch einen Investor aus den VAE, der von der alten ägyptischen Regierung genehmigt war, von der neuen Regierung aber annulliert wurde.

Dieser noch anhängige Fall ist rechtlich besonders interessant, da er sich u.a. auch mit der Frage beschäftigt, ob ein Investor, wenn er seinerseits selbst unrechtmäßig gehandelt hat, sich auf den Investitionsschutz überhaupt berufen kann.

Im Jahre 2011, also ein Jahr bevor der aktuelle Fall vor einem ICSID-Schiedsgericht gebracht wurde, hatte ein ägyptisches Gericht den Investor (Kläger), einen emiratischen Geschäftsmann zu fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 45 Millionen US$ verurteilt, weil er durch Bestechung Land für die Entwicklung eines Luxus-Resorts von dem früheren ägyptischen Staatspräsidenten Hosni Mubarak weit unter Marktpreis gekauft habe.

Dieser Fall berührt die im Völkerrecht berühmte „Estoppel“-Doktrin, wonach jemand, der selbst Unrecht tut, sich nicht auf Recht berufen kann. Im vorliegenden Fall wird sich das Schiedsgericht mit der Frage zu beschäftigen haben, ob ein Staat - also im vorliegenden Fall der ägyptische Staat - auf korruptes Verhalten eines Investors verweisen kann, wenn staatliche Organe ebenfalls involviert waren oder zumindest das illegale Handeln des Investors kannten und es gleichwohl akzeptierten „Estoppel“). In einem früheren ICSID – Verfahren hatte das damalige Schiedsgerichtstribunal ausgeführt, dass das Prinzip der Fairness es verbiete, dass eine Regierung sich auf die Verletzung ihrer eigenen Gesetze bei ihrer Verteidigung beruft, wenn sie diese Gesetzesverstöße wissentlich übersehen oder geduldet hat und damit eine Investition erlaubte, die nicht im Einklang mit ihrer Rechtsordnung war.

Ähnliche Fälle, die alle sich mit dem Thema der „unrechtmäßigen Enteignung“ in Bezug auf Öl - Exploration oder Handelsgeschäfte beschäftigen, sind momentan vor verschiedenen ICSID - Tribunalen auch gegen die den Staat Tunesien und den Staat Oman anhängig.

Wie in den vorerwähnten Fällen bezüglich der „unrechtmäßigen Enteignung „oder Geltung des „Estoppel-Grundsatzes “ gibt es auch eine ganz weitere Anzahl von Prinzipien des internationalen Investitionsrecht, die auf Fälle zur Anwendung kommen werden, die aus dem „Arabischen Frühling“ in Ägypten oder anderen arabischen Staaten abgeleitet sind. Dazu gehört etwa die Frage, ob eine Investition vom Schutze eines bilateralen Investitionsschutzabkommen ausgeschlossen ist, wenn sie nicht mit nationalem Recht in Einklang steht.

Ein anderes wichtiges Thema des internationalen Investitionsrechts, die im Zusammenhang mit Ägypten und anderen Staaten des „Arabischen Frühlings“ aufgebracht wurde, behandelt die Frage, ob und inwieweit die bestehenden Investitionsschutzabkommen nicht nur Schutz gegenüber den Staat bieten, sondern etwa auch gegen Gewalttätigkeiten, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, die aber von dem verklagten Staat nicht verhindert werden.

In einem früheren Fall hatte ein privater Investor den ägyptischen Staat verklagt, weil dessen Polizeiorgane nicht eingeschritten waren, nachdem die Hotelangestellten das Hotel besetzt hatten.

Das ICSID-Schiedsgericht gab dem klagenden Investor Recht und stellte fest: „ …das Tribunal stimmt mit dem Kläger überein, dass Ägypten seine Verpflichtung verletzt hat, der Investition des Klägers ihren vollen Schutz und Sicherheit zu geben. Es besteht nämlich eine große Wahrscheinlichkeit, dass Ägypten, bzw. die ägyptischen Staatsorgane wussten, dass die Angestellten vorhatten, das Hotel zu besetzen und dennoch keine Gegenaktionen seitens des Staates eingeleitet wurden. Und auch als die Bestzungen stattgefunden hatten, hat weder die Polizei noch das Tourismusministerium eine Aktion gestartet, um die Kontrolle des Investors über dies Hotel wiederherzustellen…“.

Man kann davon ausgehen, dass die Ereignisse im der MENA-Region noch viele Sachverhalte für weitere Schiedsgerichtsverfahren auf Grundlage der ICSID-Konvention und/oder der entsprechenden BIT’s schaffen. Zwar hat etwa die ägyptische Regierung unter dem früheren Premierminister Ibrahim Mahlab verfügt, dass möglichst eine außer(schieds-)gerichtliche Lösung zwischen dem ägyptischen Staat und Investoren gesucht werden sollte und wurden in einem entsprechenden Komitee auch schon einige ursprünglich anhängige Fälle im Vergleichswege geregelt, doch bleibt noch viel Raum für weitere Verfahren in Ägypten und besonders auch in anderen Ländern des „Arabischen Frühlings“, wo die politischen Umwälzungsprozesse noch anhalten .

„Zerfallende Staaten“ ( Failing States ) und Wirtschaftsrecht

Der „Arabische Frühling“ – sofern man diesen durch die Ereignisse weithin diskreditierten Begriff überhaupt noch verwenden kann - hat nicht- wie in Tunesien oder Ägypten - nur politische Umwälzungen und neue Regierungen innerhalb von Staaten mit sich gebracht. In anderen Ländern hat sich die Staatlichkeit schon weitgehend aufgelöst (Libyen, Jemen, Syrien), sind sogar an ihre Stelle neue staatsähnliche Gebilde entstanden oder im Enstehen ( IS) und ist nicht auszuschließen, dass auch neue Staaten sich herausbilden werden. Dies trifft insbesondere zu auf die Region der heutigen Länder Syrien und Irak, wo – unter dem Stichwort „das Ende von Sykes Picot“ - diskutiert wird, ob die alten, nach dem 1. Weltkrieg im sog.“ Sykes-Picot Abkommen“ ziemlich willkürlich, d.h. einseitig gemäß den Interessen der Kolonialmächte festgelegten, Länder und Grenzen, sich im Gefolge der weiteren Ereignisse auflösen und an ihre Stelle neue Staaten oder Staatliche Gebilde treten werden, die auf einer größeren historischen, ethnischen oder religiösen (Schiiten/Sunniten) Homogenität beruhen. Ein Ende der Entwicklung ist jedenfalls noch nicht absehbar, der „dreißigjährige Krieg“ im Nahen und Mittleren Osten muss seinen „Westfälischen Frieden“ noch finden.

Wie dem auch sei, fest steht, daß momentan und wohl auch noch auf absehbare Zeit die staatlichen Strukturen in zahlreichen Ländern soweit erodiert sind, dass man sie ohne weiteres als „Zerfallende Staaten“ ( Failed States) bezeichnen kann. Die rechtliche Betrachtung von solchen „ Failed States“ findet überwiegend aus dem Blickwinkel des Völkerrechts statt. Sie haben aber auch praktische Relevanz im Wirtschaftsleben und auch im Wirtschaftsrecht. Denn die Erosion staatlicher Strukturen ist ja in der Regel ein langwieriger Prozess. So kann entweder- und die Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten liefert, speziell in Irak oder Syrien, dafür genügend gute Beispiele – die staatliche Zentralgewalt nicht mehr in der Lage sein, ihr Gewaltmonopol oder ihr justizielles System im gesamten Staatsgebiet durchsetzen. Oder Teile des Staatsgebietes – auch hier bieten o.a. Länder plus etwa Libyen und Jemen - gute Beispiele – stehen nicht mehr unter der effektiven Kontrolle der Staatsgewalt. So können etwa, wie gegenwärtig in Libyen und im Jemen, Milizen ganze Teile des Staatsgebietes effektiv unter ihre Kontrolle bringen oder gar para-staatliche Strukturen und Institutionen etablieren, wie dies gegenwärtig das selbst erklärte islamische Kalifat des IS in großen Teilen Syriens und des Irak tut.

So unterschiedlich sich der Staatsverfall in den einzelnen Ländern auch darstellt, so ist doch allen Szenarien i. d. R. gemeinsam, dass die wirtschaftliche Aktivität nicht automatisch aufhört. Denn Verfall oder gar der Wegfall der staatlichen Strukturen hat ja nicht zur Folge, dass die wirtschaftlichen Strukturen verfallen oder wegfallen. Vielmehr werden der Handel mit Konsumgütern, die Telekommunikation, der Transport oder das Bankwesen fortgeführt. Diese Wirtschaftstätigkeit ist i. d. R. zumindest über einen langen Zeitraum keineswegs auf die lokale Wirtschaft beschränkt, auch internationale Unternehmen sind oft in „zerfallenden Staaten“ tätig, insbesondere in Ländern, die mit Rohstoffen gesegnet sind, wie etwa im arabischen Raum die erdölreichen Länder Libyen und Irak.

Für internationale Unternehmen, stellt sich oft die Frage, welches Recht denn nun gilt, wenn der Staat vor dem Zusammenbruch steht, oder wenn das alte Regime gestürzt worden ist, oder wenn das neue Regime eine neue Verfassung erläßt .

Cum grano salis lässt sich sagen, dass nach herrschender Völkerrechtsdoktrin die Erosion der Staatsgewalt nicht automatisch ein Ende der Staatlichkeit zur Folge hat. Es gilt vielmehr zunächst einmal der Grundsatz der Kontinuität, d.h. bis dem Zeitpunkt, wo die Staatsgewalt definitiv und endgültig weggefallen ist, besteht die Rechtspersönlichkeit des zerfallenden Staates erst einmal fort und bleibt damit auch die Bindung an völkerrechtliche Verträge und Prinzipien bestehen. Es kann auch sein – und viele ehemalige Bürgerkriegsstatten, im Nahen Osten etwa auch der Libanon, dass der Zerfall der Staatlichkeit nur vorübergehend ist und die staatliche Ordnung wieder hergestellt wird. Ein internationales Unternehmen muss auch in einem zerfallenden Staat grundsätzlich die bestehenden Gesetze respektieren, sei es nun Strafrecht, Öffentliches Recht oder des Zivilrechts. Und natürlich gilt dies auch für das Vertragsrecht, der ja- insbesondere und gerade im arabischen Zivilrecht-„das Gesetz der Parteien“ ist. Verträge bleiben grundsätzlich auch dann wirksam, wenn der Staat, in dem sie etwa wirksam werden, versagt. Dies gilt allerdings nicht unbeschränkt, vielmehr kann eine Vertragspartei bestrebt sein, in einer solchen Situation den Vertrag anzupassen oder gar ganz zu beenden (siehe im Folgenden zum Thema Force Majeure).

Höhere Gewalt (Force Majeure)

Ein anderes Thema, das im internationalen Wirtschaftsrecht in Konstellationen wie „dem Arabischen Frühling“ häufig relevant wird, ist das Thema der „Höheren Gewalt“. Dieses betrifft in den meisten Fällen Rechts-und Vertragsbeziehungen zwischen privaten Parteien. Allerdings kann auch der Staat Partei sein, aber hier nicht in seiner klassischen staatlichen Funktion als Souverän, sondern – etwa bei Verträgen des Staates oder staatlicher Einrichtungen über Lieferungen von Produkten oder der Errichtung eines Bauwerkes - als ganz normale Vertragspartei, die einem Vertrag mit einem privaten Lieferanten oder einem privaten Bauunternehmen abschließt.

Bei Vertragsstreitigkeiten zwischen solchen Parteien – private Unternehmen oder der Staat als Wirtschaftssubjekt – kommt es in Zeiten wie „dem Arabischen Frühling“ immer wieder zu Konstellationen, wo sich eine der Parteien auf „höhere Gewalt“ beruft und sich dadurch von ihren vertraglichen Verpflichtungen lösen will.

„Force Majeure“ liegt i.d.R. dann vor, wenn außergewöhnliche Umstände die Erfüllung eines Vertrages auf Dauer oder auch nur vorübergehend unmöglich machen oder erheblich erschweren. Dabei kommt es darauf an, dass diese Umstände für die Parteien nicht vorherzusehen waren und außerhalb ihrer Kontrolle lagen.

Der Rechtsbegriff der „Force Majeure“ kommt aus dem französischen Recht und ist etwas unterschiedlich etwa zum deutschen Zivilrecht, wo die entsprechenden Tatbestände im Bürgerlichen Gesetzbuch unter die Themen „Unmöglichkeit“ (§275 BGB) oder „Störung der Geschäftsgrundlage (§313 Abs.1 BGB) fallen.

Da die Zivilgesetzbücher der meisten arabischen Staaten s – vermittelt über das ägyptische Modell – aus dem französischen Recht abgeleitet sind, folgen sie in ihrer Systematik, Anwendung der „Al Quwa Al Qahira“ sowie der jeweiligen Rechtsprechung der Dogmatik des französischen Rechts zur „Force Majeure“.

Wann liegt nun ein Fall der Force Majeure vor?

Bricht eine Revolution aus, gehen- wie 2011 in Tunesien oder Ägypten- Massen auf die Sraßen, werden Gebäude, Produktionsanlagen besetzt oder Plätze (TAHRIR-Platz in Kairo), Straßenzugänge etc. blockiert oder gesperrt , so steht zwischen Vertragsparteien selten in Streit, dass ein Fall der „Force Majeure“ eingetreten ist. Viel häufiger wird allerdings darüber gestritten, wie lange ein solcher Fall der „Force Majeure“ fortdauert. Während private Unternehmen schon aus Fürsorgepflicht des Arbeitgebers eher vorsichtig sein werden/müssen, ihre Arbeiter wieder auf die Baustellen oder Ölförderanlagen zu schicken ,sondern lieber warten will, bis sich Umstände nachhaltig stabilisiert haben, sieht das die andere Vertragsseite – etwa die staatliche Ölgesellschaft oder die neu an die Macht gekommene Regierung - etwas anders, da sie ein Interesse daran hat, möglichst bald wieder „normale Verhältnisse“ herzustellen und auch wieder Einnahmen zu generieren.

Streit besteht auch oft in der Frage, ob die im Rahmen der „Force Majeure“ eingetretenen Umstände so gravierend sind, dass der Partei, die sich auf sie beruft, die Erfüllung des Vertrages objektiv unmöglich geworden ist, so dass sie sich von ihrer Leistungspflicht komplett befreien kann oder ob es sich nur um eine Leistungserschwerung handelt, die zwar bei dem Ausmaß oder der Zeit der Vertragserfüllung zu berücksichtigt werden ist, die aber keineswegs ein völliges Ausscheren aus dem Vertrag rechtfertigt.

Es gibt auch Situationen, wo eine objektive Unmöglichkeit im strengen Sinne nicht vorliegt, wo aber es wirtschaftlich letztlich sinnlos und/oder unzumutbar ist, einen Vertrag noch zu erfüllen (wirtschaftliche Unmöglichkeit).

Bei Berufung auf „Force Majeure“ auf Grund der Sicherheitslage in einem Land werden deutsche Unternehmen oft die Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zur Grundlage nehmen. Doch ist darauf hinzuweisen, dass diesen keine Rechtsqualität zukommt und ein (Schieds-)Gericht die Situation auch anders beurteilen kann.

Ein anderes klassisches Thema im Rahmen der „Force Majeure““ ist die Frage der Vorhersehbarkeit oder Unvorhersehbarkeit der Umstände. So waren etwa Unternehmen in Projekte der Ölwirtschaft im Irak noch lange tätig, als im Rahmen innerer Unruhen oder durch Sabotageakte im Untergrund operierender Gruppen bereits erhebliche Sicherheitsrisiken bestanden. Auch hier lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen, ob die Sicherheitsgefährdung den entsendenden Unternehmen nicht bereits bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, so dass eine Berufung auf „Force Majeure“ schwerlich durchdringen wird.

Bei der Frage der Vorhersehbarkeit geht es aber nicht nur um das Wissen oder die Prognose von Sicherheits- oder politischen Risiken. Auch ökonomische Umstände können einen Fall der „Force Majeure“ begründen oder auch gegebenenfalls ausschließen. So können etwa Devisenbeschränkungen in einem Land oder Importverbote für bestimmte Versorgungsgüter die Erfüllung eines Vertrages dauernd oder vorübergehend verhindern. Auch hier kommt es darauf an, ob die leistungspflichtige Partei dies Umstände hätte vorhersehen können oder gar mit ihnen rechnen musste. Bei den allgemein bekannten Devisenbeschränkungen und Konvertierungsschwierigkeiten in dem chronisch devisenschwachen Ägypten etwa kann man einer Partei durchaus zumuten, dass sie entsprechende Vorkehrungen trifft und wird ihr die Berufung auf „Force Majeure“ verwehren.

Viele Probleme der Force Majeure kann man vorausplanend bereits bei der Vertragsgestaltung ausschließen bzw. minimieren. Dabei kann man auf wohldefinierte und bewährte allgemeine Formulierungen – bei Bauverträgen etwa die FIDIC-Klausel - in den Vertrag aufzunehmen und durch auf die konkrete Situation und den konkreten Vertrag bezogene Fallbeispiele zu ergänzen. Dabei sollten bestimmte häufige Konstellationen ganz konkret geregelt werden, etwa der Risikoverteilung bei Stromausfall oder einer Unterbrechung der Versorgungswege, bis zu welchem Zeittraum liegt eine nur vorübergehende Leistungsstörung vor?, welche Bedeutung haben Reisehinweise des Auswärtigen Amtes oder anderer Sicherheitsdienste?, soll die Force Majeure Klausel abschließend sein oder soll daneben noch das jeweilige dem Vertrag zugrunde liegende Recht ebenfalls herangezogen werden?

Abschließend kann man festzustellen, dass das Recht und insbesondere auch das Wirtschaftsrecht bei Wirtschaftstätigkeiten in den vom „Arabischen Frühling“ erfassten Ländern nicht still steht. Staatslosigkeit schafft nicht ohne weiteres Rechtslosigkeit.

Einiges an Risiko lässt sich durch Prognose und entsprechende Vertragsgestaltung minimieren.

Doch fraglos ist der wirtschaftsrechtliche Rahmen und damit das Wirtschaften momentan und sicherlich noch auf absehbare Zeit in einemgroßen Teil des Nahen und Mittleren Ostens sehr volatil und mit großen Risiken behaftet.


Featured Posts
Recent Posts
Follow Us
Noch keine Tags.
Search By Tags
Archive
  • Facebook Basic Square
  • Twitter Basic Square
  • Google+ Basic Square
bottom of page